Die Loewin von Mogador
einen Gasse duftet es nach Seifen und Parfüms, in der
nächsten stapeln sich Teppiche aus Persien und Seide aus Indien, und in der
übernächsten hängen Kamelköpfe neben frisch gehäuteten Hammeln. Es ist einfach
unglaublich!“
Er riss sich von ihren tiefblauen Augen los,
die vor Begeisterung leuchteten, und antwortete: „Sie haben recht, ich war auf
dem Souk. Ich habe den Safran verkauft, den wir im November geerntet haben. Der
Händler hat schon darauf gewartet, ebenso die Kaufleute hier. Aber zuerst habe
ich natürlich den Leibkoch des Sultans beliefert.“
„Das rote Gold Marokkos“, sagte Sibylla
lächelnd, „so nennt mein Vater es.“
„Weil es das teuerste Gewürz der Welt ist“,
warf André ein. Normalerweise ist das ein Geheimnis, aber die Chiadma haben mir
beigebracht, wie man ihn kultiviert.“
„Und wie kommen ausgerechnet Sie, ein
Europäer, zu dieser Ehre?“
„Ich habe zwischen den Chiadma-Scheichs und
dem Sultan vermittelt und so geholfen, eine Fehde beizulegen. Zum Dank haben
sie ihr kostbares Wissen um den Safrananbau mit mir geteilt. Die Fehde zwischen
ihnen und den Alawiden ging nämlich über Jahrhunderte und brachte ihr Volk an
den Rand des Untergangs. Jetzt zahlen sie lieber die Ushur, die Steuer auf
Ernteerträge an ihn, als nach seinem Thron zu gieren.“
„Vielleicht werden Sie den Safran der Chiadma
eines Tages an uns verkaufen.“
„Das würde ich, aber Ihr Gatte will ihn nicht
haben. Er sagt, die Exportsteuern seien ihm zu hoch und er habe genug andere
Waren, die er billiger ausführen könne.“
Sibylla blickte ihm fest in die Augen. „Wenn
Sie mit mir verhandelt hätten, hätten wir eine Lösung gefunden, die für alle
befriedigend ist.“
Er lächelte verschmitzt. „Das glaube ich
Ihnen aufs Wort. Eines Tages - spätestens wenn ich meinen eigenen Safran anbaue
- komme ich darauf zurück.“
„Anfangs hatte Benjamin es sehr schwer“,
erzählte Sibylla, denn sie hatte das Gefühl, sich für ihren Mann entschuldigen
zu müssen. „Aber kurz nach Thomas‘ Geburt kamen die Geschäfte in Schwung.
Inzwischen hat er so viel zu tun, dass ich ihn kaum noch zu Gesicht bekomme.“
Sie blickte zu den Kindern. Der kleine Sabri
hielt jetzt die Leine, aber John zupfte ihn bereits ungeduldig am Kaftan.
„Eigentlich wollte Benjamin den Drachen mit den
Jungen steigen lassen“, sinnierte sie. „Aber dann lief die Queen Charlotte
früher als erwartet ein, und er musste zum Hafen.“
Sibylla nahm sich noch eine Handvoll
Pistazien. „Stimmt es, dass Sultan Abd Er Rahman oft Ihren Rat sucht? Wir
anderen Europäer sind für ihn nur Ungläubige.“
André lachte. „Nun, vermutlich schätzt er
mich, weil ich ihn beim Schach gewinnen lasse. Nein, im Ernst: Abd Er Rahman
hält Napoleon für den größten Feldherrn aller Zeiten, und ich war Major bei den
Chasseurs d’Afrique – wenn auch nicht unter Napoleon. Ich bin erst 1823, einige
Jahre nach seinem Tod, in die Armee eingetreten. Und ob der Sultan mir wirklich
vertraut, weiß ich nicht. Es wird sich aber bald herausstellen. In Algerien
haben die Berber unter ihrem Anführer Abd El Kader wieder einmal den Jihad
gegen uns Franzosen ausgerufen. Ich bin mir sicher, dass der Sultan mich genau
beobachten lässt, um herauszufinden, ob ich wieder mit der Armee meiner alten
Heimat gegen die wahren Gläubigen in den Krieg ziehen werde.“
„Und? Werden Sie?“ Sibyllas Herz schlug
unwillkürlich schneller bei dem Gedanken, dass Rouston vielleicht bald weit weg
in Algerien kämpfen würde.
„Mon Dieu, nein!“ André knüllte die leere
Pistazientüte zu einem Ball. „Ich habe meinen Abschied längst genommen. Wenn
ich könnte, würde ich mir hier ein Stück Land kaufen und meinen eigenen Safran
anbauen. Leider gestattet der Sultan Christen nicht, in Marokko Grund und Boden
zu erwerben.“
Sibylla musterte ihn neugierig. War jetzt der
passende Moment gekommen, um ihn zu fragen, ob er auf diesem Land mit einer
Frau leben wollte? Ob er vielleicht sogar schon eine Frau hatte?
Am Strand erhob sich wüstes Geschrei. John
lag auf dem Bauch im Sand und heulte aus Leibeskräften. Tom hatte einen der
Araberjungen am Kaftan gepackt und kreischte auf Arabisch: „Lass die Schnur
los, du Hundesohn, oder der Dschinn wird dich verfluchen!“
Offensichtlich hatte der Junge John die
Drachenschnur weggenommen, und Tom – wie immer bereit, seinem Bruder zu helfen
– warf sich für ihn ins Zeug.
„Um Himmels willen!“ Sibylla lachte
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