Die Loewin von Mogador
des
Kaids, die auf dem Rasen spielten. Ammen und Kinderfrauen saßen in der Nähe und
passten auf, dass kein Streit ausbrach oder eines der Kleinen in den Fischteich
fiel. Gewöhnlich nahm sie Tom und John in den Harem mit. Heute jedoch hatten
beide über Bauchweh geklagt, und sie hatte sie zu Hause in Nadiras Obhut
gelassen.
„Ich habe doch meine Familie hier in
Mogador“, antwortete Sibylla. „Ich bin glücklich.“
„Vielleicht wird Ihre Familie bald noch
größer, Sayyida Sibylla. Sie können el Sayyid noch viele Kinder schenken“, warf
Wahida ein.
Als Sibylla die schöne abessinische Favoritin
des Kaids zum ersten Mal getroffen hatte, hatte diese ihrem Herrn bereits zwei
Söhne geboren. In den letzten drei Jahren waren noch zwei Töchter
hinzugekommen.
Sibylla dachte an Benjamin und Firyal. Sollte
es in der Familie Hopkins noch Babys geben, wären sie nicht von ihr.
„Es ist gut so, wie es ist“, sagte sie ohne
Bitterkeit. „Meine beiden Jungs tanzen mir schon genug auf der Nase herum.“
Wahida betrachtete sie nachdenklich. Es
musste lange her sein, dass die Engliziya und ihr Mann das Lager miteinander
geteilt hatten. Ihr jüngstes Kind war schließlich schon zwei Jahre alt. Aber
wenn sie ihrem Gemahl Speisen wie dieses Ingwergebäck servierte, war es kein
Wunder, wenn ihr Liebesleben trocken und ihr Schoß leer blieb!
Wahida kannte eine Menge Geheimnisse, wie
eine Frau einen Mann an sich band. Sie wusste, wie berauschende Düfte wirkten
und welche Zutaten eine Speise nicht nur schmackhaft machten, sondern auch das
Feuer in einem Mann entfachten. „Frauennabel“ zum Beispiel, ein saftiges zu
einem Kringel geformtes Backwerk mit einem koketten Sahneklecks in der Mitte –
oder „die Lippen der Schönheit“, die süßer schmeckten als ein Kuss.
Aber die Engliziya schien nicht traurig, dass
ihr Ehemann sie nicht mehr in sein Bett rief. Das konnte nur bedeuten, dass er
entweder sehr ungeschickt war oder die Gesellschaft von Knaben vorzog. Oder
scherte die schöne blonde Engliziya sich so wenig um ihren Gemahl, weil sie
sich längst einen Geliebten genommen hatte?
Der heutige Tag war besonders gut geeignet,
um das herauszufinden, denn heute feierten die Muslime das Ende des Ramadan.
Gestern hatte der Muezzin das Erscheinen der silbernen Mondsichel verkündet,
die den Monat Schawwal einleitete, und damit das Ende der Entbehrungen. Dreißig
Tage hatten die muslimischen Ehefrauen des Kaids gefastet und gebetet, Allah
gedacht, ihre Toten geehrt und Almosen gespendet. Zum Lohn hatte der Prophet
ihnen in seiner unendlichen Weisheit ein Fest geschenkt, Eid ul-Fitr, das Fest
des Fastenbrechens.
Als Sibylla kurz nach dem Mittagsgebet den
Garten des Harems betreten hatte, herrschte dort bereits ausgelassene Stimmung.
Eigentlich hatte sie nur die Seidenstrümpfe und Ingwerkekse als Geschenk für
die Frauen und ihre Kinder abliefern wollen, aber Rusa und Lalla Jasira hatten
sie eingeladen, mitzufeiern.
Jetzt lagerte sie zwischen den beiden
wichtigsten Damen des Harems und Kaid Hash Hashs Lieblingskonkubine Wahida auf
bequemen Polstern am Wasserbassin. Eine Sklavin hatte ihr Täubchenpastete und
Dattelragout serviert, Lamm in Granatapfelsoße und Schwertfisch, der in frische
Minzeblätter gewickelt war. Dazu trank sie nach Zimt und Kardamom duftenden
Tee, und als Dessert brachte eine Dienerin Apfelsorbet mit kandierten
Rosenblüten.
Wahrhaftig, dachte Sibylla, während sie sich
eine Köstlichkeit nach der anderen auf der Zunge zergehen ließ. Bei diesem
Essen ist es kein Wunder, dass die Frauen englische Ingwerkekse langweilig
finden! Und ich muss aufpassen, dass ich nicht zu dick werde. André findet dicke
Frauen bestimmt nicht attraktiv.
Seit sie den Franzosen vor drei Tagen am
Strand getroffen hatte, nannte sie ihn insgeheim beim Vornamen. Immer wieder
rief sie sich ihre Begegnung vor Augen. Als die Kinder sie unterbrochen hatten,
weil ihnen der Drache weggeflogen war, war er kurz davor gewesen, ihr etwas
Wichtiges zu sagen. Sie hatte gespürt, dass er ihr etwas ganz Persönliches
enthüllen wollte, etwas, das ihn und sie betraf. Aber der kurze Moment war so
rasch vorbei gewesen, und jetzt besaß sie nur die wehmütige Erinnerung an eine
halb ausgesprochene Verheißung.
Sie unterdrückte ein Seufzen, nahm eine reife
dunkelblaue Pflaume von der Obstplatte, die vor ihr auf einem flachen Tischchen
stand, und schob sie sich in den Mund.
Wie köstlich die Früchte hier schmecken,
dachte sie und schloss
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