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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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„Wie heißt du, mein Junge?“
    „Sabri bin Abdul bin Ibrahim bin Ridwan bin
Nureddin al Mogadori“, antwortete der Kleine stolz. „Aber du darfst Sabri sagen.“
    „Es ist mir eine Ehre, Sabri. Dieser Junge
hier ist Tom Hopkins. Ihr beide bringt den Drachen jetzt zum Fliegen. Du nimmst
ihn und läufst damit los, so schnell du kannst, und Tom hält die Leine. Wenn
ich rufe, wirfst du den Drachen, so hoch du kannst.“
    Der Junge nickte ernst. Dann wetzte er den
Strand entlang, so dass der Sand hinter ihm emporstob.
    „Jetzt!“, rief André, die Leine straffte sich
in Toms Fäusten, und der bunte Drache stieg, begleitet vom Jubel der Kinder, in
den blauen Himmel.
    „Passt auf, dass er euch nicht ins Wasser
fällt!“, warnte er.
    Dann ging er zu Sibylla, die ebenfalls Bravo
gerufen und in die Hände geklatscht hatte, legte eine Hand über sein Herz und
machte zur Belustigung der Kinder eine übertriebene Verbeugung. „Jetzt hätten
wir Zeit, um ein wenig zu plaudern.“
    „Gut, warum nicht?“, erwiderte sie. Der Wind
riss an Roustons kurzgeschnittenem schwarzem Haar, und sie ertappte sich bei
dem Gedanken, dass sie jetzt gern mit ihren Händen dieses Haar zerwühlen würde.
Wieder errötete sie.
    Was ist denn in dich gefahren, schalt sie
sich. Mit solchen überflüssigen Phantasien machst du dich nur unglücklich!
    Aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr
Herz heftig schlug. Sie fühlte sich hingezogen zu diesem Franzosen mit seiner
sonnenverbrannten Haut, den Lachfältchen um die dunklen Augen und dem welligen
schwarzen Haar, das im Moment in alle Richtungen stand, auch wenn solche
Gefühle überhaupt keinen Sinn hatten.
    Über die vergangenen drei Jahre war der
Kontakt zu Rouston nie ganz abgerissen. Sie hatte ihn auf den Neujahrsempfängen
der europäischen Konsulate getroffen und hin und wieder auf dem Souk, wo er im
Frühling und Sommer die Orangenernte der Chiadma, im Herbst Datteln und im
Winter Safran und Oliven verkaufte. Sie waren nie allein, immer waren andere
Menschen um sie herum gewesen, doch sie konnte sich an jede einzelne dieser
Begegnungen genau erinnern. Für sie war Rouston ein ganz besonderer Mensch,
einer, mit dem sie sich tief verbunden fühlte, seit er ihr auf dem Rückweg von
Marrakesch vor mehr als drei Jahren geholfen hatte.
    Sie sprach mit niemandem über diese
verwirrenden Gefühle, aber nachts, wenn sie hörte, wie Firyal in Benjamins
Schlafzimmer huschte, ertappte sie sich dabei, wie sie an ihn dachte und sich
fragte, ob er bei den Chiadma eine Frau hatte, vielleicht sogar Kinder, oder ob
ihm ein freies Leben ohne Bindungen das Wichtigste war.
    Der Wind trug Gesangsfetzen an ihr Ohr. Der
Muezzin rief zum Asr, zum Nachmittagsgebet. André zog seine Jacke aus und legte
sie in den Sand. „Bitte.“ Er lächelte Sibylla zu. „Nehmen Sie Platz!“ Er selbst
setzte sich neben sie auf den Boden. Dann öffnete er die Papiertüte, die er
zuvor aus einer der Jackentaschen genommen hatte, und hielt sie ihr hin. „Mögen
Sie geröstete Pistazien?“
    „Und wie!“ Sie langte in die Tüte. „Ich liebe
die marokkanische Küche. All diese Knabbereien und die köstlichen Süßspeisen …
in England gibt es das nicht.“
    Rouston sah sie nur an, ein kleines Lächeln
auf den Lippen. Auch er hatte vom ersten Moment an das unsichtbare Band
gespürt, das sie beide umschlang, und es machte ihn auf eine Weise glücklich,
die er nicht kannte. Gern hätte er Sibylla erzählt, dass er ihren Körper, der
durch die Schwangerschaften voller und weicher geworden war, betörend fand und
dass die Weiblichkeit, die ihr Gesicht ausstrahlte, seit sie Mutter geworden
war, sie in seinen Augen zur schönsten Frau überhaupt machte. Aber das war
natürlich nicht möglich. Es würde nie möglich sein, denn sie gehörte Hopkins –
warum auch immer. Er hatte sich schon oft gefragt, warum gerade dieser Mann,
der sich durch sein tölpelhaftes und großspuriges Auftreten bei den Marokkanern
unbeliebt gemacht hatte, eine so außergewöhnliche Frau bekommen hatte.
    „Monsieur Rouston“, sprach sie ihn leise an,
und an der Art, wie sie ihn ansah, merkte er, dass sie etwas zu ihm gesagt
haben musste. Er räusperte sich. „Entschuldigen Sie! Es ist unhöflich, aber ich
habe nicht zugehört.“
    „Ich habe Sie gefragt, was Sie heute nach
Mogador geführt hat. Hatten Sie auf dem Souk zu tun? Ich bin selbst oft dort.
Es ist ein wundervoller Ort, nicht wahr? All diese Eindrücke, diese Gerüche und
Geräusche! In der

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