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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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peinlich
berührt. „Ich glaube, ich muss den Dienstboten sagen, dass sie in Gegenwart der
Kinder auf ihre Worte achten sollen! Jungs!“ Sie sprang auf die Füße. „Ihr
sollt doch nicht streiten!“
    Gefolgt von André lief sie zu den Kindern.
John hatte sich inzwischen hochgerappelt, und sie nahm ihn auf den Arm. Der
Kleine war in ein Büschel Grasnelken gefallen, die klettenartigen Blüten
klebten überall an seiner Kleidung und in seinem Haar. Rouston war inzwischen
bei den beiden Streithähnen angekommen. Der Araberjunge zog ein bitterböses
Gesicht, während der Franzose mit strenger Miene auf ihn einredete. Schließlich
gab er Tom die Drachenschnur mit gesenktem Kopf zurück.
    „Wie haben Sie nur so schnell für Ruhe
gesorgt?“, fragte Sibylla, als sie wieder im Sand saßen und den jetzt
einträchtig spielenden Kindern zusahen.
    „Ich habe ihm gedroht, dass ich die Geister
der christlichen Sklaven freilassen würde, die beim Bau der Festung hier
eingemauert wurden, damit sie ihn jagen“, antwortete André grinsend.
    „Was sagen Sie da?! Eingemauerte Menschen?
Und damit machen Sie auch noch Kindern Angst? Das ist nicht Ihr Ernst!“ Sibylla
erschauderte.
    „Ist es auch nicht. Ehrlich gesagt bin ich
mir nicht sicher, ob dieses Ammenmärchen überhaupt wahr ist. In Wirklichkeit
habe ich den Jungen gefragt, ob er so schwach ist, dass er einem Kleineren
etwas wegnehmen muss. Eines ist mir allerdings doch aufgefallen“, fuhr André
fort und musterte sie mit gespielt strenger Miene. „Thomas kann beängstigend
gut auf Arabisch fluchen.“
    Sibylla wirkte verlegen. „Vielleicht hat er
es beim Spielen oder von den Dienstboten aufgeschnappt. Es hat auch Nachteile,
die Kinder die Landessprache lernen zu lassen.“
    „Daraus schließe ich, dass Sie länger in
Marokko bleiben wollen.“
    Sie lachte. „Tatsächlich zieht mich
erstaunlich wenig zurück nach London. Und Sie?“, fragte sie weiter. „Was hält
Sie in diesem Land? Ist es eine Frau?“ Das Letzte war ihr einfach so
herausgerutscht. „Verzeihen Sie meine Neugier!“, murmelte sie.
    „Oh, da gibt es nichts zu verzeihen“,
versicherte er rasch. In der Tat hatte sie ihn mit diesen vier kleinen Worten
zum glücklichsten Mann Marokkos gemacht, denn es zeigte ihm, dass sie sich für
ihn interessierte, vielleicht sogar eifersüchtig auf eine Gefährtin war, die
sein Leben teilte.
    Wenn es eine Frau gibt, die mich hier hält,
dachte er, dann bist du das, Sibylla Hopkins, auch wenn ich gerade wegen dir
dieses Land so schnell wie möglich verlassen sollte – denn was würden wir je
haben außer gestohlene Augenblicke?
    Laut aber sagte er: „Ich nehme an, Sie fragen
sich, ob ich mir eine Frau bei den Chiadma genommen habe. Und die Antwort
lautet: Nein, das habe ich nicht.“ Er registrierte erfreut, wie der angespannte
Ausdruck auf ihrem Gesicht sich löste, legte eine kleine Pause ein und ergänzte
spitzbübisch: „Allerdings könnte man sagen, dass eine Chiadma-Frau mich zu
ihrem Mann genommen hat.“
    „Oh! Wirklich?“ Sie konnte ihre Enttäuschung
kaum verbergen. „Diese Berberfrauen scheinen recht freie Sitten zu pflegen“,
setzte sie ein wenig schnippisch hinzu.
    „Nein“, widersprach André ernst, „das stimmt
keineswegs. Sie sind einfach nur anders als Europäerinnen und Araberinnen. Bei
den Berbervölkern stehen die Frauen in hohem Ansehen. Sie sind stark und frei
und treffen ihre eigenen Entscheidungen. Es gibt sogar berühmte Kriegerinnen
unter ihnen. Haben Sie je von Al-Kahina, der Zauberin, gehört? Als die Araber
vor mehr als tausend Jahren in den Maghreb einfielen, einte sie die Stämme der
Zanata-Berber und führte sie gegen die Eindringlinge. Nach mehreren Siegen
machten die Zanata sie zu ihrer Königin. Ein gefangener Muslim, den sie als
Ziehsohn aufgenommen hatte, verriet sie an ihre Feinde. Das kostete sie das
Leben.“
    „Sie muss eine überaus faszinierende Frau
gewesen sein, eine wahre Amazone“, äußerte Sibylla leise. Wie behütet und
ereignislos verlief dagegen ihr eigenes Dasein – obwohl sie es geschafft hatte,
der strengen Aufsicht ihres Vaters zu entfliehen. Rouston hingegen hatte bei
den Berbern eine Frau geheiratet, die vermutlich eine zweite Al-Kahina war –
eine Vorstellung, bei der ihre Stimmung spürbar sank.
    „Warum begleitet Ihre Frau sie eigentlich nie
nach Mogador? Wollen Sie sie uns Ausländern nicht vorstellen?“ Sie biss sich
auf die Lippen. So ungerecht und verärgert wollte sie gar nicht

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