Die Loewin von Mogador
empfand? Unsicher
blickte sie zu Rusa. Glücklicherweise hatte die Mutter des Kaids nur Augen für
ihren Sohn, der gekonnt sein sich aufbäumendes Pferd bändigte. Lalla Jasiras
dunkle Augen aber ruhten auf ihr, als wüsste sie genau, was gerade in ihr
vorging. Vor Verlegenheit errötete Sibylla. Die Hauptfrau legte ihr ganz leicht
eine Hand auf die Schulter und sagte freundlich: „Es scheint mir, als habe Ihr
verehrter Gemahl den Männern dort unten ihr Lieblingsspielzeug gebracht.“
Sibylla nickte nur und schaute wieder zum
Strand. Die Araberjungen hatten sich in Erwartung eines großartigen Schauspiels
in den Sand gesetzt. Rouston hatte seine Pistole aus dem Gürtel gezogen und
entfernte sich ein Stück vom Gerüst. Er hob den rechten Arm und hielt ihn
sekundenlang still. Dann feuerte er die Pistole ab, die Reiter rissen die
Gewehre hoch und jagten los. Sand stob unter den Hufen auf, Geschrei erfüllte
die Luft. Während die Pferde noch galoppierten, legten die Männer die Gewehre
an, parierten durch und schossen.
„Wuwumm!“ Mit dumpfem Knall zerplatzten die
Tierblasen. Wasser spritzte, der Geruch verbrannten Schießpulvers erfüllte die
Luft. Rings um Sibylla lachten und jubelten die Frauen. Die Kinder liefen aufgeregt
auf dem Dach umher und ahmten Schießgeräusche nach. Sie selbst aber fühlte sich
einsam und niedergeschlagen. Sie verabschiedete sich von Rusa, Lalla Jasira und
Wahida und ließ sich von einer Sklavin zum Eingang des Harems bringen.
„Die Frau mit dem Löwenhaar ist eine
tugendhafte Frau“, sagte Lalla Jasira zu Wahida. Sie konnte nicht gehört haben,
was Wahida Sibylla angeboten hatte, aber vielleicht ahnte sie es.
„Gewiss,“, entgegnete die Konkubine und
blickte zum Strand, wo die Reiter erneut Aufstellung genommen hatten. „Aber ist
es nicht so, dass der Brunnen nach Wasser dürstet, wenn er trocken ist?“
„Sibylla!“
Sie fuhr herum. André war wie aus dem Nichts
vor ihr in der engen Gasse aufgetaucht.
„Was tun Sie hier? Warum sind Sie nicht am
Strand?“ Sie fühlte sich völlig überrumpelt.
Statt einer Antwort fasste er sie am Arm und
zog sie in den Hinterhof einer kleinen Bäckerei. In der Mitte des Hofes stand
der Ofen. Er sah aus wie ein großer Bienenkorb und war aus getrockneten
Lehmstroh-Ziegeln gebaut. Der Ofen gehörte dem Bäcker und diente gleichzeitig
als öffentlicher Ofen für das Viertel. Jeden Morgen trugen die Frauen auf
großen Holzbrettern ihren frisch gekneteten Brotteig hierhin und backten daraus
köstliche Fladen. Jetzt, am späten Nachmittag, war der Hof verlassen. Zwei
Katzen, die auf einem Stapel Holzscheite gesessen und sich geputzt hatten,
huschten davon, als sie die Menschen hörten. Aus einigen Türen auf dem Umgang
klangen Stimmen, und es roch nach Essen, das die Bäckersfrau für die
Abendmahlzeit kochte.
André zog Sibylla unter den Umgang. Hier war
es fast dunkel. Sie sah seine Augen im Zwielicht glänzen. „Ich habe Sie auf dem
Dach gesehen“, ließ er sie wissen. „Sie hatten Ihr Haar nicht bedeckt. Dann
waren Sie plötzlich verschwunden. Ich habe mir gedacht, dass Sie nach Hause
gehen wollten, und bin sofort losgelaufen, um sie noch irgendwo auf dem Weg zu
treffen.“ Seine Stimme klang warm und zärtlich. Immer noch hielt er sie fest.
Sibylla spürte ihr Herz schneller schlagen.
„Verzeihen Sie, dass ich Ihnen aufgelauert
habe“, fuhr André fort. „Aber ich konnte nicht anders. Ich musste Sie sehen.“
Er stand ganz nah vor ihr. Sie konnte die
Wärme spüren, die sein Körper ausstrahlte, und roch den herben männlichen Duft
seiner Haut.
„Und jetzt?“, fragte sie leise. „Was werden
Sie nun tun, da Sie mir – aufgelauert haben?“ Wenn er sie in seine Arme ziehen
und küssen würde, hätte sie nicht das Geringste dagegen.
„Ich möchte, dass wir uns in Ruhe treffen
können, dass wir Zeit haben, um uns miteinander zu unterhalten. Weißt du noch,
wo du mit deinen Kindern den Drachen hast steigen lassen? Dahinter liegt die
Westbastion, und dort gibt es eine alte Kirche aus der Zeit, als die
Portugiesen hier einen Handelsposten besaßen. Sie steht seit langem leer, es
finden keine Gottesdienste mehr dort statt. Willst du dich dort mit mir
treffen, Sibylla? Wir wären völlig ungestört.“ Er war einfach so zur vertrauten
Anrede übergegangen, aber sie fand das schön. Sie fühlte sich ihm dadurch noch
näher. Doch bei dem Gedanken, ihn in dieser verlassenen Kirche zu treffen,
kamen ihr Zweifel.
„Ich bin eine
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