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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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passiert!“
    „Ich glaube, ich weiß, warum sie schießen“,
warf Sibylla ein. „Mein Mann hat mir heute Morgen gesagt, dass er am Nachmittag
zum Strand muss, weil Seine Exzellenz Gewehre ausprobieren will, die er für
Seine Majestät bestellt hat.“
    „Wummwumm!“, tönte es wie zur Bestätigung.
    Wenig später stand Sibylla zwischen den
anderen Frauen und Kindern an der Brüstung des Flachdachs und spähte über die
Stadtmauer hinweg zum Strand. Dort unten bot sich ein aufregendes Schauspiel.
Zehn Männer in wehendem Burnus, unter ihnen der Kaid, galoppierten über den
Sand. Ihre Pferde waren mit prachtvollen Zäumen geschmückt, von den
Satteldecken wehten lange bunte Fransen. In einer Hand hielten die Männer Gewehre,
die sie geschickt über dem Kopf herumwirbelten, mit der anderen dirigierten sie
ihre Pferde und stießen dabei immer wieder angriffslustige Schreie aus. Als die
Gruppe sich teilte, erblickte Sibylla ein Gerüst am Strand. Es bestand aus zwei
in den Sand gerammten Holzstangen über die eine dritte Stange gelegt worden
war. An dieser baumelten mit Stricken festgebundene seltsame Gegenstände, die
sie an Kürbisse oder Ballons erinnerten.
    „Haben sie Melonen aufgehängt?“, fragte Rusa
neben Sibylla und blinzelte kurzsichtig.
    „Ich glaube eher, dass das mit Wasser
gefüllte Tiermägen sind. Vielleicht auch Tierblasen, die sie als Zielscheiben
benutzen“, antwortete Sibylla. „Schauen Sie nur, unter dem Gerüst ist der Sand
nass. Man kann sogar die zerfetzten Überreste der Ballons erkennen.“ Dann
entdeckte sie Benjamin. „Dort unten ist mein Gatte“, sagte sie.
    Benjamin saß auf seinem fuchsroten Hengst in
sicherer Entfernung vom Gerüst und den Arabern mit ihren Gewehren. Er selbst
trug kein Gewehr. Sein Tier tänzelte unruhig auf der Stelle, und er hatte alle
Hände voll zu tun, um es zu bändigen.
    „Tragen die englischen Männer so einen Anzug,
wenn sie in die Schlacht reiten?“, fragte Lalla Jasira und musterte Benjamins
Zylinder, seine wippenden Frackschöße und kniehohen ledernen Stiefel
interessiert.
    Sibylla schüttelte den Kopf. „Die Kavallerie
trägt Uniformen. Wenn Sie wünschen, lasse ich Ihnen aus England ein Bild
unserer Palastwache in London schicken. Mein Mann trägt den Reitanzug eines
Zivilisten, eines Gentleman, wie wir in England sagen.“
    Wahida blickte durch die Öffnung in ihrem
Schleier ebenfalls zu Benjamin. Sie hatte schon lange gerätselt, wie der Gemahl
von Sayyida Sibylla aussah, und war ein wenig enttäuscht. Er war lang und dünn
wie Schilfgras, gewiss nicht kraftvoll und ausdauernd genug, um einer Frau, die
die Stärke der Löwin in sich trug, gewachsen zu sein. Die Engliziya tat ihr
leid, wenn sie daran dachte, wie unbefriedigend die Liebe mit ihrem Gatten sein
musste. Sie zog ihren Schleier ein Stückchen herunter und beugte sich zu
Sibyllas Ohr: „Wenn Ihr Gemahl Sie ruft, dann nehmen Sie einen Becher Wein mit,
den Sie mit einer Prise Safran würzen. Das stärkt seine Lenden und macht ihn
hungrig.“
    Doch Sibylla hatte nicht zugehört. Wie
gebannt schaute sie auf den Strand. Wahida folgte ihrem Blick, und als sie
begriff, verzogen ihre Lippen sich zu einem feinen Lächeln.
    „Es ist also der Faransawi, den Sie begehren“, flüsterte sie
Sibylla zu. „Beim Allmächtigen, ein schöner Mann! Er lässt das Herz einer Frau
vor Freude singen, nicht wahr?“
    Sibylla hatte André Rouston nicht sofort
gesehen, da er von Benjamin und seinem Pferd verdeckt worden war. Doch als er
jetzt zu dem Gerüst lief – ein paar der Araberjungen, die vor drei Tagen mit
ihren Söhnen gespielt hatten, im Schlepptau –, setzte ihr Herz einen Schlag
aus.
    Hör auf, dachte sie und presste ihre Finger
gegen die steinerne Brüstung. Hör auf, dich unerfüllbaren Phantasien
hinzugeben! Das ist dumm und sinnlos!
    Doch sie konnte die Augen nicht abwenden,
während André nacheinander sorgsam prüfte, ob die Reiter ihre Gewehre richtig
geladen hatten. Auch die arabischen Reiter begegneten ihm mit Ehrerbietung und
neigten respektvoll die Köpfe, wenn er ihnen die Gewehre zurückgab.
    „Sayyida Sibylla.“ Sie zuckte zusammen, als
Wahida ihre Hand berührte. „Wenn Sie es wünschen, wird meine Sklavin dem
Faransawi eine Botschaft von Ihnen übermitteln.“
    Sibylla zog rasch ihre Hand zurück. „Sie
irren sich, Wahida. Ich bin eine verheiratete Frau und Mutter!“
    Doch sie fragte sich, ob ihr wirklich so
deutlich ins Gesicht geschrieben stand, was sie für Rouston

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