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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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die Augen. So, als würden sie die goldene Wärme der
Sonne, die hier jahraus, jahrein schien, in sich einschließen.
    Als sie die Augen wieder öffnete, begegnete
sie Wahidas Blick. Ihre kaffeebraunen Augen blitzten. Auch Lalla Jasira
musterte sie mit einem kleinen Lächeln.
    „Oh wie unser verehrter Gast an dieser
Pflaume nascht!“, begann Wahida. „Ist es nicht, als würde sie einen Mann an
seiner empfindlichsten Stelle liebkosen?“
    Sibyllas Wangen wurden heiß. Sie wusste, dass
die Frauen im Harem anzügliche Unterhaltungen liebten. Rusa achtete zwar
darauf, dass es nie zu ungesittet, sündig oder grob zuging, aber bei einem Fest
wie heute durften sie über die Stränge schlagen. Außerdem war die Mutter des
Kaids nach dem reichlichen Mahl in ihrem Sessel eingenickt und hörte ohnehin
nichts von der Unterhaltung.
    „Errötet die Frau mit dem Löwenhaar nicht wie
ein Mädchen vor der ersten Liebesnacht?“, neckte Wahida weiter. „Dabei hat der
Englizy ihre Rosenknospe doch geöffnet und ihr zwei starke kleine Rosenstämme
geschenkt.“ Sie pflückte eine saftige goldene Weintraube von einer Rebe und
schob sie sich mit einer anmutigen Bewegung in den Mund.
    Sibylla wusste nicht, was sie darauf sagen
sollte. In dieser Art von Konversation war sie vollkommen ungeübt. Vorsichtig
blickte sie zu Lalla Jasira. Die erste Frau des Kaids hielt einen Zipfel ihres
Schleiers vor den Mund und gluckste leise. Sibylla beschloss, so souverän wie
möglich zu reagieren und auf keinen Fall zuzugeben, dass sie von Wahidas Gerede
nur die Hälfte verstanden hatte. Was die Konkubine meinte, wenn sie von einer
Rosenknospe sprach, konnte sie sich vorstellen, und es war ihr peinlich genug.
Doch was hatte die Pflaume, die sie gerade gegessen hatte, mit Benjamins
empfindlichsten Stellen zu tun? In Gedanken überflog sie die Geschichten aus
1001 Nacht. Doch sie konnte sich an keine Stelle erinnern, in der Pflaumen bei
der Liebe eine Rolle spielten. In ihren wenigen intimen Nächten mit Benjamin
hatte sie auch keine besonders empfindlichen Stellen bei ihm bemerkt.
    Wenn jemand weiß, wo diese sich befinden oder
ob er überhaupt welche besitzt, dann Firyal, dachte sie nüchtern.
    „Wenn die Damen mich entschuldigen.“ Sie
verspürte keine Lust, sich weiter von der Konkubine veralbern zu lassen, nickte
Lalla Jasira und Wahida zu, stand auf und ging zu dem Podest, das unter einem
bunten Seidenbaldachin aufgebaut war.
    Zur Feier des Eid ul-Fitr hatte Rusa
fahrendes Volk engagiert, zehn Frauen und einen blinden Mann, die musizierten,
tanzten und aufreizende Lieder sangen. Sibylla gesellte sich zu einer Gruppe
Frauen, die im Halbkreis um das Podest standen, fröhlich mitsangen und im Takt
kleine Kupferzimbeln schlugen. Drei junge Konkubinen drängten sich mit
wippenden Hüften an Sibylla vorbei auf den blinden Musiker zu, der die
Al-rababa zupfte, die einsaitige Geige.
    „Bist du wirklich blind oder genießt du
heimlich den Anblick verbotener Früchte?“, wisperte eine so nah an seinem Ohr,
dass ihr Atem seinen faltigen Hals streifte. Eine andere nahm kichernd ihren
Schleier und verband ihm die trüben Augen. Auch er schien seinen Spaß zu haben,
denn plötzlich streckte er einen Arm aus und lief ein paar Schritte nach vorn,
und die jungen Frauen stoben kreischend auseinander. Sibylla musste lachen. Was
machte es schon, dass Wahida sie ein bisschen aufgezogen hatte? Heute war
schließlich ein Festtag!
    „Wumm! Wuwumm!“
    Nicht nur Sibylla fuhr erschrocken zusammen,
die Frauen unterbrachen ihre Unterhaltungen, die Kinder ihr Spiel, die
Musikerinnen ihre Darbietung. Rusa fuhr aus ihrem Sessel hoch und sah sich
verwirrt um.
    „Das sind Gewehrschüsse! Sie kommen vom
Strand!“, rief eine der Frauen.
    „Lasst uns aufs Dach gehen! Von dort können
wir den Strand sehen“, schlug eine andere vor. Alle eilten zu der Steintreppe,
die nicht nur den Garten mit den Gemächern des Harems verband, sondern auch auf
das Flachdach des Statthalterpalastes führte. Während die Frauen die Stufen
hinaufliefen, zogen sie ihre Schleier über Haar und Gesicht, so dass sie von
weitem aussahen wie eine bunte Schar Paradiesvögel. Die größeren Kinder rannten
aufgeregt vorneweg, die kleineren wurden von ihren Ammen getragen. Zum Schluss
folgten Sibylla mit Lalla Jasira  sowie Wahida und Rusa, die sich auf den Arm
ihrer Leibsklavin stützte.
    „Was für ein Lärm!“, sagte die Mutter des
Kaids beunruhigt. „Hoffentlich ist dort unten nichts

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