Die Loewin von Mogador
verheiratete Frau. Ich kann
nicht wie ein Dieb durch die Gassen schleichen, um einen anderen Mann zu
treffen! Was ist, wenn uns jemand beobachtet?“
„Ich werde nach dem Nachtgebet vor deinem
Haus warten“, erwiderte André. „Niemand wird uns in der Dunkelheit sehen. Nicht
einmal der Mond wird uns verraten. Die Sichel ist noch ganz schmal.“
„Sie haben wirklich an alles gedacht,
Monsieur Rouston. Aber ich habe noch nicht ja gesagt.“ Sie klang spöttisch. Es
störte sie, dass er schon alles über ihren Kopf hinweg geplant und beschlossen
hatte. Aber wenn der Franzose sie für eine Frau hielt, die leicht zu haben war,
hatte er sich getäuscht!
Doch André ließ sich nicht beirren. „Hör auf
mit den Förmlichkeiten, Sibylla! Ich weiß, dass du es auch gespürt hast, das
Besondere zwischen uns.“ Er strich ihr mit den Fingern behutsam eine
Haarsträhne, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte, hinters Ohr. Sie bekam
eine Gänsehaut. Benjamin hatte ihr Bett geteilt, sie hatten zusammen Kinder,
doch das alles hatte nicht gereicht, um eine wirkliche Bindung zwischen ihnen
entstehen zu lassen. Bei André genügte eine kleine Berührung, und sie war
bereit, ihr Ehegelöbnis zu vergessen.
„Du hast recht“, gab sie zu. „Aber ist das
Grund genug, deshalb unseren Gefühlen nachzugeben?“
„Ist es nicht das Einzige, was uns bleibt?“
Seine Stimme wurde drängend. „Zwei, drei Tage noch, dann reite ich zu den
Chiadma zurück, und es wird Monate dauern, bis wir uns wiedersehen.“
Sie sah ihm in die Augen. „Wenn wir uns
früher getroffen hätten, unter anderen Voraussetzungen. Aber das Schicksal hat
es anders gewollt …“ Sie unterbrach sich. „Es ist gleich dunkel. Ich muss
gehen. Au revoir, André.“
Rasch, bevor sie es bedauern konnte, schritt
sie über den Hof davon. Im Durchgang zu der Gasse hatte er sie eingeholt. „Ich
werde vor deinem Haus warten, Sibylla“, raunte er ihr eindringlich zu. „Wirst
du kommen?“
Sie musterte ihn mit einem kleinen Lächeln.
„Vielleicht. Aber warte nicht vor dem Haus. Dort sieht dich der Torwächter.
Warte an der kleinen Pforte, die aus der Küche auf die hintere Gasse führt.“
„Allah ist groß, Allah ist groß. Ich bezeuge,
dass es keinen Gott außer Allah gibt!“, rief der Muezzin.
Es war bald Mitternacht. Sibylla schlang sich
einen Schal über Kopf und Schultern, nahm ihre Schuhe in die eine Hand, eine
Kerze in die andere und tappte auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer. Auf dem
Umgang blieb sie einige Augenblicke stehen. Im Haus war es still. Aber sie
hörte das ferne Rauschen des Meeres und den Wind, der durch das Laub des
Olivenbaumes im Hof wehte. Ihre Kerze spendete gerade so viel Licht, dass sie
die Umrisse ihrer Umgebung erkennen konnte. Am Himmel funkelten ein paar
Sterne, graue Wolkenschatten zogen vorbei und verbargen die silberne
Mondsichel.
Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt, dachte
sie, während sie auf Zehenspitzen über die Holzbohlen tappte. Und ich bin zum
ersten Mal in meinem Leben verliebt. Ein wundervolles Gefühl!
Während Benjamin ihr beim Abendessen lang und
breit vom Probeschießen erzählt hatte, hatte sie ihre Bedenken über Bord
geworfen. Sie hatte sich eingeredet, dass sie nur dieses eine Mal nachgeben und
sich mit André treffen würde. Die Erinnerung an diese wenigen Stunden würde sie
wie einen Schatz in ihrem Herzen bewahren. Was sie vorhatte, mochte unrecht
sein. Aber sie wollte wenigstens ein Mal in ihrem Leben erfahren, wie es sich
anfühlte, von einem Mann in den Armen gehalten zu werden, der sie wirklich
begehrte und den sie begehrte.
Nachdem sie ihren Entschluss gefasst hatte,
fühlte sie sich fröhlich und frei wie schon lange nicht mehr. Sie begann sogar,
Spaß an der Vorstellung zu finden, etwas zu tun, das einer Frau normalerweise
versagt war. Zwar war Ehebruch auch Männern verboten, aber wie wenig dieses Verbot
zählte, zeigte ihr das Beispiel ihres eigenen Mannes.
Sie blieb vor der Tür von Tom und Johnny
stehen, drückte die Klinke vorsichtig hinunter und spähte ins Zimmer. Als sie
das gleichmäßige tiefe Atmen ihrer Söhne hörte, konnte sie nicht widerstehen
und betrat den Raum. Im Kerzenlicht sah sie ihre beiden kleinen Jungen fest
schlafend in ihren Betten liegen. Tom seufzte leise und runzelte im Traum die
Stirn. Sie beugte sich hinunter und strich ihm behutsam über die Locken.
Johnnys Wangen schimmerten rosig. Er hielt den kleinen Esel, den sie ihm aus
Stoffresten genäht hatte, fest im
Weitere Kostenlose Bücher