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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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Er parierte
durch und wendete.
    „Das rechte Vorderbein ist heiß.
Wahrscheinlich ist die Sehne überanstrengt“, stellte er fest, nachdem er die Beine
des Tieres untersucht hatte. „Steig ab, und setz dich auf mein Pferd. Ich werde
deines führen. Zum Glück sind wir fast am Ziel.“
    Sibylla rutschte aus dem Sattel. „Ich werde
mein Pferd selbst führen!“
    „Du glaubst doch nicht, dass ich reite und du
neben mir herläufst! Setz dich auf mein Pferd, zut alors!“
    „Ich verstehe französische Flüche, und
befehlen lasse ich mir gar nichts, auch nicht von dir!“, fauchte sie zurück.
    Sekundenlang starrten sie sich böse an, dann
mussten sie gleichzeitig lachen. Er beugte sich vor und verschränkte die Hände,
damit sie leichter auf seine Stute steigen konnte.
    „Excuse moi! Ich benehme mich unmöglich.“
    „Das bestreite ich nicht.“ Sie seufzte. „Ohne
deine Hilfe hätte der Sultan Benjamins Freilassung nicht zugestimmt, und ich weiß,
wie schwer das für dich gewesen sein muss. Benjamin ist nur noch auf dem Papier
mein Mann. Dennoch haben er und ich uns vor Gott und dem Gesetz miteinander
verbunden, und es ist fast unmöglich, diese Verbindung wieder zu lösen.“
    André schluckte. Sie hatte Recht. In
Frankreich war die Ehescheidung nach dem Ende Napoleons erneut verboten worden,
und er vermutete, dass es in England nie anders gewesen war. Eine Frau wie
Sibylla, die aus einer wohlhabenden Familie stammte, konnte sich vielleicht in
einem langen und kostspieligen Prozess scheiden lassen. Aber sie verlor auf
jeden Fall ihren guten Ruf, wahrscheinlich auch ihre Kinder. Und welches Recht
hatte er, ihr dieses Opfer abzuverlangen?
    „Ich habe dir noch gar nicht erzählt, dass
Abd Er Rahman mir ein Geschenk gemacht hat“, sagte er, um sich von seiner
hoffnungslosen Stimmung abzulenken. „Er ließ mich am Abend vor unserer Abreise
rufen und eröffnete mir, dass ich einen Wunsch frei hätte, weil ich ihn vor
einer Intrige gerettet habe.“
    „Das ist ja wie im Märchen!“, rief sie. „Was
hast du dir gewünscht?“
    Gedankenverloren streichelte er Sibyllas
Pferd zwischen den Nüstern. „Ein Stück Land, das ich beackern, und ein eigenes
Haus, in dem ich leben kann. Das ist mein sehnlichster Wunsch, seit ich alt
genug war, um zu verstehen, dass mein ältester Bruder unseren Hof erben und wir
Geschwister leer ausgehen werden.“ Er lachte. „Ich kann nicht leugnen, dass ich
ein Bauernsohn bin.“
    „Wurde dein Wunsch erfüllt? Abd Er Rahman hat
doch noch nie einem Ausländer gestattet, in seinem Land Grund und Boden zu
besitzen.“
    „Mir schon“, antwortete André stolz.
„Ungefähr eine Tagesreise südöstlich von Mogador, wo der Oued Zeltenee in den
Oued Igrounzar fließt, gibt es ein Anwesen in einem großen Lustgarten, in dem
Abd Er Rahman oft die Wochenenden verbrachte, als er ein junger Mann und Kaid
von Mogador war. Seit seiner Thronbesteigung war er nicht mehr dort, alles ist
vermutlich ziemlich verwildert und verfallen.“
    „Aber jetzt bist du der neue Besitzer und du
wirst dir dort deine Träume erfüllen. Wie wunderbar, André!“
    Er war gerührt, weil sie sich ehrlich für ihn
freute, und gleichzeitig niedergeschlagen. „Meine Träume haben sich erst ganz
erfüllt, wenn du dort mit mir lebst.“
    Sibylla senkte den Blick. „Weißt du noch, was
du in der portugiesischen Kirche zu mir gesagt hast?“
    Er lächelte traurig. „Dass unsere Zukunft in
der Hand des Schicksals liegt.“
    Sie nickte, und in ihren Augen lag ihre ganze
Liebe für ihn. „Lass uns darauf vertrauen, André, Inschallah, Gottes Wille
geschehe, auch wenn wir unsere Zukunft nicht sehen können.“

Kapitel
siebzehn
     
    Je näher sie Mogador kamen, desto feuchter
fühlte sich die Luft an. Als sie die Stadt am frühen Nachmittag erreichten,
verschwammen die Konturen der Mauern und Häuser in den tiefhängenden Nebelschleiern
und verliehen der Umgebung eine seltsam gespenstische Atmosphäre.
    „Wo sind die Karawanen?“, wunderte André
sich, als sie über den Platz vor dem Stadttor ritten. Sonst lagerten hier
hundert und mehr Kamele, und überall herrschte geschäftiges Treiben. Heute
breitete die große Fläche sich weit und leer vor ihnen aus. Es war unheimlich
still, bis auf den gedämpften Hufschlag der Pferde und den Wind, der Sandwolken
über den Platz trieb.
    „Das Stadttor ist geschlossen!“, rief Sibylla
erstaunt aus. „Obwohl es bis Sonnenuntergang noch mindestens zwei Stunden
dauert!“
    André

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