Die Löwin
ihren Willen durch Hunger und schlechte Behandlung brechen wollten, bis sie ihren Peinigern bettelnd zu Füßen lagen. So stand in dem letzten Blick, den sie beim Aufbruch wechseln konnten, die Aufmunterung, sich weder ihren Stolz noch ihren Mut nehmen zu lassen.
Die nächsten Tage waren die Hölle. Zwar wurden sie nicht mehr wie Säcke transportiert, sondern durften aufrecht im Sattel sitzen, aber das war die einzige Erleichterung, die man ihnen zugestand. Ranuccio selbst achtete darauf, dass sie immer gefesselt blieben und sich nicht einmal auf den Pferden rühren konnten. Die Knebel nahm man ihnen nur zu den kargen Mahlzeiten ab und ließ sie kein Wort miteinander wechseln. Nur ihre Blicke trafen sich, so oft sie einander die Gesichter zuwenden konnten, und eines Nachmittags bemerkte Caterina, dass Bianca ihr zuzwinkerte. An jenem Tag lockerte sich die gebirgige Landschaft etwas auf, und zu ihrer Linken entdeckte Caterina flache Hügel, die in frischem Grün prangten. Ein- oder zweimal glaubte sie sogar, in der Ferne das Meer erkennen zu können.
Am Abend bezog der Trupp sein Lager in einem höher gelegenen, schwer zugänglichen Tal, dessen von Natur aus dunkle Wände bereits im Schatten lagen. Die Düsternis, die die Felsen auszustrahlen schienen, und die Erschöpfung schienen Biancas Willen gebrochen zu haben, denn als einer der Räuber sie aus dem Sattel zog, wimmerte sie wie ein kleines Kind und ihre Tränen flossen wie Bäche. Der Mann nahm ihr grinsend den Knebel ab und kniff sie heftig in den Busen, doch anstatt ihn zu beschimpfen, blickte sie mit nassen Augen zu ihm auf. »Gnade, Signore! Ich ertrage es nicht länger. Mein Körper ist zerschlagen, der Hunger verzehrt mich und ich bin halb wahnsinnig vor Durst.«
Im ersten Augenblick erschrak Caterina und wähnte ihre Freundin vor einem Zusammenbruch. Dann begriff sie, dass Bianca ein bestimmtes Ziel verfolgte. Sie schien Borelli und seinem Schurken von Vetter vormachen zu wollen, dass sie am Ende ihrer Kräfte sei und bereit, alles zu tun, um sich ihre Lage zu erleichtern. Auf diese Weise hoffte ihre Freundin wohl, die Wachsamkeit ihrer Entführer einschläfern zu können. Obwohl es Caterinas Stolz kränkte, begann sie vorsichtig, Bianca nachzuahmen, indem sie den Mann, der ihr ein Stück Brot in den Mund steckte, anflehte, ihr ein wenig mehr zu geben.
»Vielleicht tue ich es«, antwortete dieser grinsend und wedelte mit einem weiteren Brocken vor ihrer Nase herum, als wäre sie ein Hund. Mit der anderen Hand griff er an ihre Brust und begann diese zu kneten.
Zu mehr kam er nicht, denn Borelli stürmte heran und gab ihm eine Ohrfeige, die ihn gegen die Felswand schleuderte. »Lass deine dreckigen Pfoten von dem Weibsstück! Es gehört mir, verstanden?«
»Mein Vetter meint, du kannst eine der Ziegen vögeln, an denen wir vorhin vorbeigekommen sind«, warf Ranuccio spöttisch ein.
»Der Teufel soll ihn holen!« Der Räuber griff zum Dolch und ging auf Borelli los.
Dieser wich im letzten Augenblick aus, zog seine Waffe und bleckte die Zähne. »Komm her, damit ich dich zur Ader lassen kann.«
Sein Gegner stieß eine Verwünschung aus und griff an wie ein gereizter Stier. Borelli war jedoch durch Franz von Eldenbergs Schule gegangen, und ehe der Räuber begriff, wie ihm geschah, senkte sich die Klinge des Söldneroffiziers in sein Herz. Dem Getroffenen blieb nicht einmal mehr genug Kraft, einen Schrei auszustoßen, und als sein Körper den Boden berührte, war er bereits tot.
Borelli säuberte seinen Dolch am Hemd des Toten und wandte sich an die übrigen Räuber. »Will noch einer dem Kerl in die Hölle folgen?«
Das Schweigen, das ihn umgab, sagte mehr als hundert Worte. Bislang hatten die ehemaligen Räuber den Verwandten ihres Hauptmanns nicht ganz ernst genommen, nun begriffen sie, dass er nicht aus Pappelholz geschnitzt war. Der Einzige, der keine erschrockenen Blicke mit seinen Kameraden wechselte, war Ranuccio, denn der hatte sich abgewandt, um seine zufriedene Miene zu verbergen. Alles lief so, wie er sich das vorgestellt hatte. Seine Männer würden den Tod ihres Kameraden so rasch nicht vergessen, und nach weiteren Zwischenfällen würde es ein Leichtes für ihn sein, einen von ihnen so aufzustacheln, dass der Mann seinen Vetter aus dem Weg räumte. Dann würde er als Borellis engster Verwandter diesen beerben und Capitano werden. Natürlich waren die fünfzig Lanzen nicht mit der Eisernen Kompanie zu vergleichen, doch ein aufstrebender
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