Die Loge der Nacht
und es auf den Scheiterhaufen gestellt hatte. Immerhin war man mit solchen Urteilen schnell bei der Hand in dieser Zeit.
In dieser Zeit .
Natürlich hatte Lilith - wenn auch nicht gleich, so doch im Laufe der ersten Tage, die sie in Nachbarschaft zu Lenas Bewußtsein hatte zubringen müssen - herausgefunden, wohin es sie verschlagen hatte. Sie war nicht einfach nur aus ihrer körperlichen Hülle vertrieben worden - sondern aus ihrer Zeit, ihrer Welt selbst! Hinein in eine andere, längst vergangene: in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. In eine Welt, die von jahrelang währendem Krieg tief gezeichnet war.
Sie hatte es eigentlich längst aufgeben wollen, über die Frage nachzusinnen, was nun schwerer wog - der Verlust des eigenen Körpers oder der ihrer eigenen Welt? Denn sie fand keine Antwort darauf; nur immer mehr Fragen folgten dieser einen nach. Auch sie blieben unbeantwortet und gipfelten stets in der einen: Ob das ihr beschie-dene Schicksal nicht schlimmer war als der Tod, ob sie nicht lieber gestorben wäre, anstatt als bloße Ballung von Denken und Emotion in einem fremden Leib, in ferner Vergangenheit gefangen zu sein.
Vielleicht, überlegte sie in einem stillen Winkel, den sie sich erobert hatte, bin ich ja längst schon tot. Vielleicht ist dieser kärgliche Anschein von Leben, der mir geblieben ist, meine Strafe, mein ganz eigenes Los der Verdammnis ...
Einen Weg aus dieser elenden Misere sah Lilith nicht. Sie hatte lange und immer wieder darüber nachgedacht. Doch sie hätte zwei Kerkern entfliehen müssen - dem Leib Lenas und der fremden Zeit -, und selbst dann wäre sie noch nicht gerettet. Denn ihren eigenen Körper hätte sie dann längst noch nicht gefunden. Womöglich gab es ihn überhaupt nicht mehr, und sie hätte nur wieder einen weiteren »Wirt« finden müssen - bis sie auch den verlassen hätte, um in den nächsten einzufahren. Ein endloser Kreis, dem sie nie entkommen konnte. Es sei denn .
Tief in ihren verborgensten Gedanken, die sie vor Lenas Denken hütete wie den kostbarsten Schatz, kannte Lilith durchaus eine Möglichkeit, wie sie ihre ebenso verzweifelte wie verteufelte Lage ein wenig zum Besseren hätte wenden können.
Weil sie, würde sie diese Möglichkeit nutzen, einen Körper besessen hätte; nicht ihren eigenen zwar, aber doch wenigstens einen, der ihr allein gehörte und gehorchte.
Aber dafür hätte Lilith einen Menschen töten, im wörtlichen Sinne auslöschen müssen. Und dazu war sie nicht bereit.
Wenn ihr vampirisches Erbe auch ihr Moralempfinden beeinflussen mochte, so gab es doch Dinge, deren sie nicht fähig war.
*
»Komm schon, zier dich nicht. Bist der Kerl, dem du gleichschaust, oder doch nur ein feiger Hund?«
Lenas Gurren klang wie die Sünde selbst.
Lilith fühlte sich davon angewidert und besudelt, weil die Niedertracht und Boshaftigkeit des Mädchens ihr eigenes Sein wieder und wieder streiften und sich daran abrieben wie schmieriger Dreck.
Bevor Lena sich in die Scheuer gestohlen hatte wie ein Dieb, hatte sie das einsam gelegene Gehöft eine Weile aus dem nahen Wald heraus beobachtet. Ihr schmutziges Herz hatte einen regelrechten Hüpfer getan, den auch Lilith verspürt hatte, als sie schließlich feststellte, daß außer einem noch recht jungen Paar niemand den armseligen Hof bewohnte. Was nicht verwunderlich war, denn in dieser Kriegszeit konnte ein einfacher Bauer sich den Lohn eines Knechtes nicht leisten.
Im gleichen Moment hatte das Mädchen Lilith an seinem verruchten Plan teilhaben lassen.
Nur scheinbar unauffällig war Lena zu der strohgedeckten Scheune hinübergelaufen - in Wahrheit jedoch war sie darauf bedacht gewesen, daß der Bauersmann sah, wie sie durch den Torspalt schlüpfte.
Im Schutz einiger Strohballen und einfachster Gerätschaften hatte sich das Mädchen niedergehockt, und wenig später geschah, was Lena - und Lilith mit ihr - vorhergesehen hatte.
Das Tor war von draußen etwas weiter aufgezogen worden, der Streifen einfallenden Lichtes in die Breite gewachsen, ehe er sich verdunkelt hatte, als ein Schatten hineingefallen war.
»Wer da?« hatte der Bauer gerufen, mit einer Kraft allein schon in der Stimme, daß Lena erschaudert war. Doch sie hatte mit Bedacht geschwiegen.
»Kannst dich ruhig zeigen«, hatte der andere unerschrocken gefordert, während er zwei Schritte weiter in die Scheuer getreten war. »Ich hab' dich geseh'n, und ich werd' keine Müh haben, dich zu finden. Kommst besser gleich hervor.«
Lena
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