Die Loge der Nacht
Situation, um auf Spuren der Alten Rasse zu stoßen. Sie hatte »Verdächtige«, die dem Anschein nach im geheimen Machtnetz der Vampire verstrickt sein konnten, mit ihren ganz eigenen Mitteln »verhört«.
Lange Zeit erfolglos, vergebens. Bis heute .
Der dürre Kerl wand sich wie ein knöcherner Wurm in Liliths hartem Griff, und er stank, als schliefe er selbst in den feuchten Grä-bern, die zu schaufeln und zu belegen sein Broterwerb war.
Lilith war einer vagen Spur gefolgt und hatte den Leichner in seiner Kate am Rande des Regensburger Hauptfriedhofs aufsuchen wollen, um ihm ein paar Fragen zu stellen - die beispielsweise, ob er bisweilen Tote, deren Hals nach Vampir-Art gebrochen war, unauffällig unter die Erde brachte .
Ohne anzuklopfen oder sich in sonstiger Weise bemerkbar zu machen hatte Lilith die niedrige Tür geöffnet - und den Alten just bei seinem kärglichen Abendessen gestört.
Der fette Hinterleib der Ratte, deren Kopf in seinem Maul verschwunden gewesen war, hatte ihm vor den blutleeren Lippen gezappelt wie eine pelzige, aufgequollene Zunge!
Die Dienerkreatur zu überwältigen, war Lilith nicht sonderlich schwergefallen. Ihn zum Reden zu bringen, stellte sie schon vor größere Probleme. Denn die Angst vor seinem Herrn versiegelte dem untoten Leichner schier die Lippen. Und wenn ein Laut daraus hervorkroch, war es lediglich ein Wimmern, nie aber auch nur der Teil einer Antwort auf Liliths drängende Fragen.
Ihre Geduld war längst erschöpft. Zudem brannte Durst in ihr, und das Verlangen, die Gier nach schwarzem Blut ließ sie alle Rücksichtnahme und Vorsicht weit hintanstellen.
Mit raschem Griff hebelte sie den winselnden Alten zu Boden und warf sich über ihn. Ihre Hände schossen vor, schlossen sich den Backen eines Schraubstocks gleich um seinen wie mit Pergament bespannten Schädel und drehten ihn so heftig und weit zur Seite, daß seine Nackenwirbel hörbar knirschten.
»Ich rate dir gut, mir endlich zu antworten«, fauchte sie. »Dein vampirischer Meister würde dich vielleicht nur strafen, ich aber nehme dir das bißchen Leben, das er in dich gepflanzt hat! Ich schwör's dir - bei Gott dem Allmächtigen!«
Die Nennung Seines Namens fiel auch Lilith nicht leicht. Der Kreatur aber mußte er schier in den Ohren brennen und sengenden Schmerz über jeden Nerv jagen, woran sein gepeinigter Aufschrei kaum Zweifel ließ.
»Ich kann dir auch gern das Vaterunser vorbeten«, drohte Lilith, auch wenn sie das wohl selbst nicht über die Zunge gebracht hätte. Trotzdem setzte sie noch eines obenauf: »Und in lateinischen Sprüchen bin ich auch nicht übel!« Dabei verstärkte sie den Druck ihres Griffs noch um einen Deut.
Die Dienerkreatur gurgelte, als drehte ihr Liliths Gewalt einen Knoten in die Kehle.
»Ich verstehe dich so schlecht«, knurrte Lilith, ein klein wenig lockerer lassend.
»Ich sag's, ich sag's!« wimmerte der Leichner. »Nur - mach deine Worte nicht wahr, ich bitt' dich.«
»Also«, verlangte Lilith. »Wo finde ich deinen Meister und seine schwarz-blütige Brut?«
Allein das Wort ließ ihr Speichel im Mund zusammenlaufen.
»Ostengasse«, stieß der andere hervor. »In den Kellern der Handwerkshäuser rechts und links davon schlüpfen sie unter. Ein paar der Handwerker selbst sind solchene wie ich. Sie fertigen Sachen für den Krieg, Schuhwerk und Waffen und anderes. Damit treiben unsere Herren Handel -« Er keuchte schwer, sprach rasselnd und setzte erschöpft eine kurze Pause, ehe er vollendete: »- seit sie zurück in die Stadt gekommen sind.«
»Was heißt das: seit sie zurückgekommen sind?« wollte Lilith wissen. Unvermittelt kam sie das merkwürdige Gefühl an, den Zipfel eines Tuches in Händen zu halten, unter dem sich ein Geheimnis verbarg. Und das Wissen um dieses Geheimnis, das spürte sie auf die gleiche seltsame Art, konnte von großer Wichtigkeit sein - oder zumindest werden.
»Sie waren lange fort, die Herren«, beeilte sich der Untote zu antworten. Und dann erzählte er Lilith eine lange Geschichte, die sie zutiefst beunruhigte.
Als der Leichner geendet hatte, machte auch sie ein Ende. Mit einem einzigen Ruck ihrer Hände.
*
Die Nacht senkte sich schon über Regensburg, als Lilith Eden in der Gestalt des Mädchens Lena die Ostengasse erreichte. Auf dem Weg hierher war ihr die Erzählung des Leichners nicht aus dem Sinn gegangen. Weil sie ihr allzu seltsam schien, unglaubwürdig beinahe. Denn sie hätte nie gedacht, daß irgend etwas Vampire aus
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