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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Putzfrau erzählte von einer Küche mit teuren Kupfertöpfen und allen nur vorstellbaren Küchenmaschinen. So entstand das weitere Gerücht, er sei Küchenchef oder Restaurantbesitzer. Diese Vorstellung gefiel ihm am besten. Wäre er nicht in seinen gegenwärtigen Beruf geraten, hätte er sich seinen Lebensunterhalt am liebsten als Kochkünstler verdient.
    Die wenige Post, die täglich im Briefkasten des Chalets lag, war an Eric Lange adressiert. Dieser sprach das Schwyzertütsch eines Zürichers, aber mit dem breiten Singsang eines Mannes aus den Alpentälern der Innerschweiz. Er kaufte in der örtlichen Migros ein und zahlte stets bar. Er bekam keinen Besuch und wurde trotz seines guten Aussehens niemals mit einer Frau gesehen. Er war häufig für längere Zeit verreist. Wurde er nach dem Grund seiner Abwesenheit gefragt, murmelte er irgend etwas von geschäftlichen Terminen. Drang jemand weiter in ihn, wurden seine grauen Augen plötzlich so eiskalt, daß nur wenige den Mut hatten, dieses Thema weiterzuverfolgen.
    Vor allem schien er ein Mann mit allzu reichlicher Freizeit zu sein. Von Dezember bis März verbrachte er bei guter Schneelage die meiste Zeit auf der Skipiste. Er war ein guter Skiläufer: schnell, aber nie leichtsinnig, mit der Größe und Kraft eines Abfahrers und der flinken Beweglichkeit eines Slalomläufers. Seine Kleidung und Ausrüstung waren teuer, aber dezent und bewußt so ausgesucht, daß sie unauffällig wirkten, anstatt Aufmerksamkeit zu erregen. Auf der Fahrt im Sessellift blieb er gewohnheitsmäßig schweigsam. Im Sommer, wenn man nur noch auf den Gletschern skifahren konnte, verließ er jeden Morgen sein Chalet zu einer Bergwanderung. Sein Körper schien dafür wie geschaffen: groß und stark, mit schmalen Hüften und breiten Schultern, muskulösen Oberschenkeln und rautenförmigen Waden. Er bewegte sich auf den Felspfaden mit der Geschmeidigkeit einer großen Raubkatze und schien nie zu ermüden.
    Gewöhnlich rastete er am Fuß des Eigers, um aus seiner Wasserflasche zu trinken und mit zusammengekniffenen Augen zur windumtosten Nordwand des Bergmassivs hinaufzuspähen. Er kletterte nie, sondern hielt die Männer, die sich am Eiger versuchten, für ausgemachte Spinner. Von der Terrasse seines Chalets aus hörte er an manchen Nachmittagen das Rotorgeknatter von Rettungshubschraubern, und manchmal konnte er durch sein Fernglas tote Kletterer in ihren Seilen hängend im Föhnsturm hin- und herschwingen sehen. Er hatte äußersten Respekt vor dem Berg. Wie der als Eric Lange bekannte Mann war der Eiger ein perfekter Killer.
    Kurz vor fünfzehn Uhr stieg Lange aus dem Sessellift, um zum letzten Mal an diesem Tag abzufahren. Am Ende der Piste verschwand er in einem Arvenwäldchen und glitt durch die Schatten bis zum Hintereingang seines Chalets. Er trat aus den Skibindungen, zog die Handschuhe aus und gab auf dem Tastenfeld neben der Tür eine Zahlenkombination ein. Dann betrat er das Chalet, zog Daunenjacke und Überhose aus und hängte die Skier in eine stabile Wandhalterung. Im Obergeschoß duschte er und zog Reisekleidung an: schwarze Cordsamthose, dunkelgrauer Kaschmirpullover, feste Wildlederschuhe. Seine Reisetasche war schon gepackt.
    Er blieb vor dem Spiegel im Bad stehen und begutachtete seine Erscheinung. Die blonden Haare waren von der Sonne gebleicht und graumeliert. Die Augen waren von Natur aus grau und vertrugen Kontaktlinsen gut. Die Gesichtszüge wurden gelegentlich von einem Schönheitschirurgen in einer diskreten Klinik am Genfer See verändert. Er setzte eine Schildpattbrille auf, massierte sich Gel ins Haar und kämmte es streng nach hinten. Die dadurch bewirkte Veränderung seines Aussehens war bemerkenswert.
    Er kehrte ins Schlafzimmer zurück. In dem großen begehbaren Kleiderschrank verbarg sich ein Safe mit Kombinationsschloß. Er stellte die erforderliche Zahlenkombination ein und zog die schwere Tür auf. In dem Safe lag das Rüstzeug für seinen Beruf: gefälschte Reisepässe, größere Beträge in verschiedenen Währungen, eine Kollektion von Handfeuerwaffen. Er füllte seine Geldbörse mit Schweizer Franken und entschied sich für eine 9-mm-Stetschkin, seine bevorzugte Waffe. Er schob die Pistole zwischen die Kleidungsstücke in seiner Reisetasche und schloß die Safetür wieder. Fünf Minuten später stieg er in seinen Audi A6, um nach Zürich zu fahren.
    In der gewalttätigen Geschichte des politischen Extremismus in Europa wurde kein Terrorist verdächtigt,

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