Die Loge
eine harte, bedrohliche Gestalt. Ein Mann, der eher Angst als Vertrauen hervorrief.
Sie setzten sich auf eine Bank mit Blick über die Piazza di Siena. Casagrande dachte an seine Frau und stellte sich vor, wie er mit ihr auf genau dieser Bank gesessen und den Pferden zugesehen hatte, die auf dem Rennbahnoval unterwegs waren. Fast meinte er, die Erdbeeren in ihrer Hand riechen zu können. Angelina hatte eine Vorliebe dafür gehabt, im Frühjahr in der Villa Borghese Erdbeeren zu essen und dazu Spumante zu trinken.
Kardinal Brindisi riß Casagrande aus seinen beunruhigenden Erinnerungen und brachte das Gespräch auf den Mann, den sie als Ehud Landau kannten. Der Sicherheitschef des Vatikans berichtete von Landaus Besuch im Herz-Jesu-Kloster in Brenzone.
»Barmherziger Gott«, murmelte der Kardinal. »Wie hat Mater Vincenza sich geschlagen?«
»Offenbar recht gut. Sie hat ihm die Geschichte erzählt, die ich mit ihr einstudiert hatte, und ihn fortgeschickt. Aber er ist morgens zurückgekommen und hat nach Schwester Regina gefragt.«
»Schwester Regina! Das ist eine Katastrophe. Wie kann er von ihr erfahren haben?«
Casagrande zuckte mit den Schultern. Diese Frage hatte er sich nach Mater Vincenzas zweitem Anruf immer wieder gestellt. Wie konnte Landau von Schwester Regina erfahren haben? Benjamin Sterns Wohnung war gründlich durchsucht worden. Alles, was mit dem Kloster zusammenhing, war entfernt und vernichtet worden. Offensichtlich war irgendein anderes Beweisstück durch Casagrandes Netz geschlüpft und seinem Gegenspieler aus Israel in die Hände gefallen.
»Wo ist er jetzt?« fragte der Kardinal.
»Das weiß ich leider nicht. Ich habe ihn bei der Abreise aus Brenzone von einem Mann beschatten lassen, aber Landau hat ihn in Verona abgehängt. Er ist offenbar ein ausgebildeter Profi. Seither haben wir nichts mehr von ihm gehört.«
»Wie wollen Sie weiter verfahren?«
Casagrande wandte den Blick von der alten Rennbahn ab und sah in die blassen Augen des Kardinals. »Als Staatssekretär solltet Ihr darüber informiert sein, daß der Sicherheitsdienst einen Mann identifiziert hat, der anscheinend ein Attentat auf den Heiligen Vater plant.«
»Zur Kenntnis genommen«, sagte Brindisi förmlich. »Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um sicherzustellen, daß er keinen Erfolg hat?«
»Ich habe Achille Bartoletti eingeschaltet, und er hat ganz wie erwartet reagiert. Eine Ermittlertruppe ist gebildet worden, und die Fahndung nach dem Mann läuft Tag und Nacht auf Hochtouren.«
»Irgendwann muß natürlich auch der Heilige Vater von der drohenden Gefahr unterrichtet werden. Vielleicht können wir diese Informationen dazu benützen, ihn von seinem Entschluß abzubringen, kommende Woche das Ghetto zu besuchen.«
»Genau das dachte ich auch«, sagte Casagrande. »Ist damit alles besprochen?«
»Bis auf eine Kleinigkeit.« Brindisi erzählte dem Sicherheitschef von dem Reporter der Repubblica, der bezüglich der Kindheit des Heiligen Vaters recherchierte. »Die Aufdeckung eines Täuschungsmanövers des Vatikans, selbst eines so harmlosen, käme zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr ungelegen. Sehen Sie zu, ob Sie diesen lästigen Reporter irgendwie zur Räson bringen können.«
»Wird gemacht«, sagte Casagrande. »Was habt Ihr mit dem Heiligen Vater vereinbart?«
»Ich habe ihm erklärt, es wäre nützlich, wenn er in einem Memorandum die Details seiner unglücklichen Kindheit zusammenfassen würde.«
»Wie hat er darauf reagiert?«
»Er war einverstanden, aber ich will nicht länger darauf warten. Ich möchte, daß Sie eigene Ermittlungen anstellen. Wir müssen die Wahrheit kennen, bevor sie in der Repubblica nachzulesen ist.«
»Ich stelle sofort einen Mann dafür ab.«
»Ausgezeichnet«, sagte der Kardinal. »Damit sind wir fertig, glaube ich.«
»Einer meiner Männer wird Euch unauffällig folgen. Im geeigneten Augenblick taucht dann der Lieferwagen auf. Er bringt Euch in den Vatikan zurück – außer Ihr möchtet zur Via Veneto zurückgehen. Wir könnten ein Glas Frascati trinken und Rom vorbeiflanieren sehen.«
Der Kardinal lächelte, was nie aufmunternd wirkte. »Tatsächlich, Carlo, sehe ich Rom am liebsten aus den Fenstern des Vatikanpalasts.«
Damit drehte er sich um und ging davon. Im nächsten Augenblick hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.
15
N ORMANDIE
Früh am nächsten Morgen überquerte Eric Lange den Ärmelkanal mit der Autofähre Newhaven-Dieppe. Er stellte seinen gemieteten Peugeot
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