Die Loge
dem er ins Priesterseminar eingetreten war, hatte sein Herz Christus und der Jungfrau Maria gehört. Priester, die ihr Keuschheitsgelübde brachen, widerten ihn an. Seiner Ansicht nach sollte jeder Priester, der gegen den Zölibat verstieß, unverzüglich aus dem Amt entfernt werden. Aber er war auch Pragmatiker genug, um zu erkennen, daß ein so rigoroses Vorgehen die Reihen des Klerus erheblich gelichtet hätte.
An der Kreuzung zwischen der Via Veneto und dem Corso d'Italia blieb der Kardinal stehen und sah auf seine Armbanduhr. Er hatte den vereinbarten Treffpunkt genau pünktlich erreicht. Nur wenige Sekunden später hielt eine Limousine am Randstein neben ihm. Die hintere rechte Tür wurde geöffnet, und Carlo Casagrande trat heraus.
»Ich bitte um Vergebung, wenn ich Euren Ring nicht küsse«, sagte Casagrande, »aber das ist hier nicht angebracht, glaube ich. Der Abend ist wunderbar mild. Wie wär's mit einem Spaziergang durch die Villa Borghese?«
Casagrande geleitete den Kardinal über den breiten Boulevard und setzte den zweitmächtigsten Mann der römisch-katholischen Kirche dabei der Blutgier der römischen Autofahrer aus. Nachdem sie heil auf der anderen Seite angekommen waren, schlenderten sie einen kiesbestreuten Weg entlang. Am kommenden Sonntag würde der Park voller kreischender Kinder sein, zwischen denen sich Männer im Radio die Übertragung von Fußballspielen anhörten. Aber heute abend war es hier bis auf das stete Rauschen des Verkehrs auf dem Corso still. Der Kardinal ging, als trage er weiter seine Soutane: die Hände auf dem Rücken verschränkt und mit gesenktem Kopf – ein reicher Mann, der Geld verloren hat und einen halbherzigen Versuch macht, es wiederzufinden. Als Casagrande flüsternd berichtete, Peter Malone sei tot, murmelte Brindisi ein kurzes Gebet, widerstand aber der Versuchung, es mit dem Kreuzeszeichen zu beschließen.
»Ihr Auftragskiller ist recht tüchtig«, sagte er.
»Leider hat er auf diesem Gebiet viel Übung.«
»Erzählen Sie mir von ihm.«
»Es ist meine Aufgabe, Euch vor solchen Dingen zu bewahren, Euer Eminenz.«
»Ich frage nicht aus morbider Neugier, Carlo. Mir geht es nur darum, daß diese Sache effizient aus der Welt geschafft wird.«
Sie erreichten die Galleria Borghese. Casagrande setzte sich auf eine der Marmorbänke vor dem Museum und bedeutete Brindisi, neben ihm Platz zu nehmen. Der Kardinal wischte umständlich etwas Staub weg, bevor er sich auf den kalten Stein setzte. Dann brachte Casagrande fünf Minuten lang damit zu, ihm widerstrebend zu erzählen, was er über den »Leopard« genannten Attentäter wußte – von seiner langen, blutigen Verbindung zu linksextremen und palästinensischen Terrorgruppen bis hin zu seiner Verwandlung in einen hochbezahlten Profikiller. Er hatte den deutlichen Eindruck, der Kardinal genieße seinen stellvertretenden Umgang mit dem Bösen.
»Sein wahrer Name?«
»Nicht geklärt, Euer Eminenz.«
»Seine Nationalität?«
»Die meisten der europäischen Sicherheitsdienste halten ihn für einen Schweizer, obwohl auch darüber teilweise spekuliert wird.«
»Sie haben ihn tatsächlich selbst kennengelernt?«
»Wir waren im selben Zimmer, Euer Eminenz. Wir haben miteinander verhandelt, aber ich kann nicht behaupten, ihn zu kennen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand ihn wirklich kennt.«
»Ist er intelligent?«
»Sehr.«
»Gebildet?«
»Einiges scheint darauf hinzuweisen, daß er an der Universität Fribourg ein Theologiestudium begonnen hat, bevor er dem lockenden Ruf von linker Gewalt und Terror gefolgt ist. Und als junger Mann scheint er in Zürich ein Noviziat absolviert zu haben.«
»Soll das heißen, dieses Ungeheuer hat tatsächlich studiert, um Priester zu werden?« Kardinal Brindisi schüttelte langsam den Kopf. »Er hält sich doch wohl nicht mehr für einen Katholiken?«
»Der Leopard? Ich weiß nicht, ob er an etwas anderes als sich selbst glaubt.«
»Und jetzt arbeitet ein Mann, der einst für die Kommunisten gemordet hat, für Carlo Casagrande, der dem polnischen Papst geholfen hat, das Reich des Bösen zu besiegen.«
»Die Politik schafft, wie man so sagt, seltsame Bettgenossen.« Casagrande stand auf. »Gehen wir noch ein Stück?«
Sie folgten einem Fußweg zwischen Steinpinien. Der Kardinal war einen knappen Kopf größer als der Chef des Sicherheitsdienstes. Seine kirchlichen Gewänder, die er normalerweise trug, verliehen ihm weichere Konturen. In Zivilkleidung war Marco Brindisi
Weitere Kostenlose Bücher