Die Loge
bretonischen Großmutter.
Lange trat lautlos vor und streckte eine Hand nach der Stelle aus, wo er einen Fuß unter der Daunendecke vermutete. Als er Katrine gerade am Knöchel packen wollte, richtete sie sich ruckartig mit weit geöffneten Augen und einer 9-mm-Browning in den Händen auf. Sie feuerte zwei Schüsse ab, genau wie Lange es ihr beigebracht hatte. In der Beengtheit ihres Schlafzimmers donnerten sie wie Kanonenschüsse. Lange ließ sich sofort zu Boden fallen. Die Schüsse gingen über ihn hinweg und trafen den Spiegel von Katrines Toilettentisch, einem Prachtstück aus dem achtzehnten Jahrhundert, der völlig zersplitterte.
»Nicht schießen, Katrine!« rief Lange hilflos lachend. »Ich bin's!«
»Steh auf! Laß dich ansehen!«
Lange kam langsam auf die Beine und achtete darauf, daß seine Hände gut zu sehen waren. Katrine knipste die Nachttischlampe an und starrte ihn lange aufgebracht an. Dann holte sie aus und wollte ihm die Pistole an den Kopf werfen. Lange duckte sich, und die Waffe fiel in die klirrenden Glassplitter.
»Scheißkerl! Du kannst von Glück sagen, daß ich dir nicht den Kopf weggeschossen habe!«
»Ich wäre bestimmt nicht der erste gewesen.«
»Ich habe diesen Spiegel geliebt!«
»Er war alt.«
»Er war ein antikes Stück, verdammt!«
»Ich kaufe dir einen neuen.«
»Ich will keinen neuen – ich will diesen hier!«
»Dann lassen wir ihn reparieren.«
»Und wie soll ich die Einschußlöcher erklären?«
Lange legte eine Hand ans Kinn und spielte den Nachdenklichen. »Hmmm, das könnte ein gewisses Problem darstellen.«
»Natürlich ist das ein Problem. Verdammter Idiot!« Katrine zog die Daunendecke über ihre Brüste, als merke sie erst jetzt, daß sie nackt war. Ihr Zorn auf ihn schien sich allmählich zu legen.
»Was machst du überhaupt hier?«
»Ich war zufällig in der Nähe.«
Sie musterte ihn prüfend. »Du hast wieder jemanden umgelegt. Das sehe ich in deinem Blick.«
Lange hob die Browning auf, sicherte sie und ließ die Pistole aufs Bettende fallen. »Ich hatte in der Nähe zu tun«, sagte er. »Ich müßte mich ein, zwei Tage ausruhen.«
»Wie kommst du darauf, daß du hier reinschneien kannst, wann's dir gefällt? Ich hätte einen anderen Mann da haben können.«
»Stimmt, aber ich wußte, daß meine Chancen nicht schlecht stehen. Ich weiß genau, daß dich die meisten Männer tödlich langweilen – intellektuell und in deinem großen Himmelbett. Und ich weiß auch, daß kein Mann, den du hierher mitnimmst, lange durchhält. Deshalb hatte ich das Gefühl, nicht allzuviel zu riskieren.«
Katrine bemühte sich angestrengt, nicht zu lächeln. »Warum sollte ich dich hierbleiben lassen?«
»Weil ich für dich kochen werde.«
»Nun, dann sollten wir uns erst Appetit holen. Komm ins Bett. Zum Aufstehen ist es noch zu früh.«
Katrine Boussard war höchstwahrscheinlich die gefährlichste Frau Frankreichs. Nach dem Abschluß ihres Literatur- und Philosophiestudiums an der Pariser Sorbonne hatte sie sich der linksextremen Gruppe Action Directe angeschlossen. Während die politischen Ziele dieser Gruppierung oft widersprüchlich waren, blieben ihre Methoden stets gleich. In den achtziger Jahren tobte sie sich in blutigen Exzessen mit Attentaten, Entführungen und Bombenanschlägen aus, die Dutzende von Todesopfern forderten und ganz Frankreich terrorisierten. Dank ihrer Ausbildung bei Eric Lange gehörte Katrine Boussard zu den geschicktesten Killern der Gruppe. Lange hatte zweimal mit ihr zusammengearbeitet: im Jahr 1985 bei der Ermordung eines hohen Beamten aus dem französischen Verteidigungsministerium und im Jahr 1986 bei dem Mord an einem französischen Autoindustriellen. In beiden Fällen war es Katrine Boussard gewesen, die den Opfern den Gnadenschuß gegeben hatte.
Lange arbeitete im allgemeinen allein, aber in Katrines Fall hatte er eine Ausnahme gemacht. Sie war eine erfahrene Kämpferin, im Einsatz kalt und mitleidslos, stets diszipliniert. Lange und sie litten unter der gleichen Besonderheit: Einsatzstreß steigerte ihre Libido, und sie nutzten den Körper des anderen dazu, um diese wirkungsvoll abzubauen. Sie waren kein Liebespaar – sie hatten beide zu viel erlebt, um an etwas so Bürgerliches wie die Liebe zu glauben. Sie glichen eher Kunsthandwerkern, die nach Vollkommenheit strebten.
Katrine war mit einem Körper gesegnet, der ihr ermöglichte, an vielen Stellen vielfältige Freuden zu empfinden. Wie immer reagierte er bereitwillig
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