Die Loge
haben«, sagte sie. «Mein Mann ist oft geschäftlich unterwegs, und dann bin ich hier ganz allein. Und entlang der gesamten Côte d'Azur sind Einbrüche an der Tagesordnung. Auch uns hat's mehrmals erwischt, bevor wir uns die Wachhunde zugelegt haben. Seither ist nichts mehr passiert.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Sie rang sich ein kurzes Lächeln ab. Gabriel nutzte diese Pause in ihrem belanglosen Gespräch, um zur Sache zu kommen. Er beugte sich im Sessel nach vorn, stützte seine Ellbogen auf die Knie und berichtete Antonella Huber mit Auslassungen, was ihn hergeführt hatte. Er erzählte ihr, sein Freund, der Historiker Benjamin Stern, habe entdeckt, daß sich im Herz-Jesu-Kloster in Brenzone – dem ehemaligen Kloster ihrer Mutter – während des Krieges etwas Außergewöhnliches ereignet habe. Er berichtete weiterhin, sein Freund sei von jemandem ermordet worden, der sicherstellen wollte, daß dieses außergewöhnliche Ereignis weiter geheimblieb. Er fügte hinzu, das spurlose Verschwinden ihrer Mutter sei in Italien kein Einzelfall gewesen. Zwei Geistliche, die Monsignori Felici und Manzini, seien etwa zur selben Zeit verschwunden. Der römische Kriminalbeamte Alessio Rossi habe einen Zusammenhang zwischen den Vermißtenfällen gesehen, sei aber zurückgepfiffen worden, nachdem ein Mann namens Carlo Casagrande vom Sicherheitsdienst des Vatikans die italienische Polizei unter Druck gesetzt hatte. Antonella Huber hörte sich Gabriels Ausführungen wortlos an, beobachtete ihn unverwandt und hatte dabei ihre Hände über einem Knie gefaltet. Er hatte den deutlichen Eindruck, ihr nichts zu erzählen, was sie nicht schon wußte oder vermutete.
»Ihre Mutter ist damals nicht nur aus dem Orden ausgetreten, weil sie heiraten wollte, oder?«
Eine längere Pause, dann: »Ja, das stimmt.«
»Im Kloster ist etwas passiert, das sie in solche Zweifel gestürzt hat, daß sie dem Orden nicht länger angehören wollte.«
»Ganz recht.«
»Hat sie darüber mit Benjamin Stern gesprochen?«
»Ich habe sie gebeten, es nicht zu tun, aber sie hat meine Warnung in den Wind geschlagen.«
»Wovor hatten Sie Angst?«
»Natürlich davor, daß ihr etwas zustoßen würde. Und ich hatte recht, nicht wahr?«
»Haben Sie mit der italienischen Polizei gesprochen?«
»Verstünden Sie etwas von italienischer Politik, wüßten Sie, daß man der italienischen Polizei in solchen Dingen nicht trauen darf. War Alessio Rossi nicht einer der Männer, die vorletzte Nacht in Rom erschossen wurden? Von einem mutmaßlichen Papstattentäter?« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Mein Gott, diese Leute schrecken vor nichts zurück, um ihre schmutzigen kleinen Geheimnisse zu bewahren.«
»Wissen Sie, weshalb Ihre Mutter beseitigt wurde?«
Sie nickte erneut. »Ja, das weiß ich. Ich weiß, was sich dort im Kloster ereignet hat. Ich weiß, warum meine Mutter aus dem Orden – und aus der Kirche – ausgetreten ist und weshalb sie dafür ermordet wurde.«
»Erzählen Sie es mir?«
»Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich es Ihnen zeige.« Sie stand auf. »Bitte warten Sie einen Augenblick. Ich bin gleich wieder da.«
Sie verließ den Raum und ging nach oben. Gabriel lehnte sich zurück und schloß die Augen. Chiara, die neben ihm in der Sofaecke saß, legte ihm eine Hand auf den Arm.
Als Antonella Huber zurückkam, hielt sie einen Stapel leicht vergilbter Blätter Schreibpapier in der Hand. »Dies hier hat meine Mutter am Vorabend ihrer Hochzeit mit meinem Vater geschrieben«, sagte sie und hielt die Blätter hoch, damit Gabriel und Chiara sie sehen konnten. »Benjamin Stern hat sie eine Fotokopie davon gegeben. Deshalb ist Ihr Freund ermordet worden.«
Sie setzte sich wieder, ordnete die Blätter und begann laut vorzulesen.
Mein Name ist Regina Carcassi, und ich stamme aus Bruneck in der Südtiroler Provinz Bozen. Ich war das jüngste von sieben Kindern und das einzige Mädchen, daher verstand es sich fast von selbst, daß ich ins Kloster gehen würde. Im Jahr 1937 nahm ich den Schleier und trat als Novizin in den Orden der heiligen Ursula ein. Ich wurde ins Herz-Jesu-Kloster – ein Kloster der Ursulinerinnen in Brenzone am Gardasee – geschickt, um an einer katholischen Mädchenschule zu unterrichten. Damals war ich achtzehn Jahre alt
Mit meiner dortigen Aufgabe war ich sehr zufrieden. Das Kloster lag wundervoll in einem ehemaligen Schloß am Seeufer. Als der Krieg ausbrach, veränderte er unser Leben nur wenig. Trotz der
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