Die Loge
Straße wohnte. Er warf sich das Geschirrtuch über die Schulter und trat mit Gabriel ins Freie, um ihm die Richtung zu zeigen. Gabriel bedankte sich für die Auskunft und stieg wieder bei Chiara ein.
»Geradeaus«, sagte er. »Über die Hauptstraße, am Gendarmerieposten vorbei und den Hügel hinauf.«
Die Straße war schmal, kaum breiter als eine asphaltierte Fahrspur, und führte steil bergauf. Zwischen Oliven und Tamarisken waren Villen zu sehen. Manche waren eher bescheidene Häuser, die Einheimischen gehörten; andere waren opulente, gepflegte Luxusvillen im Schutz von Hecken und hohen Natursteinmauern.
Die Villa, in der die Italienerin angeblich wohnte, fiel in die zweite Kategorie. Sie war ein stattliches altes Landhaus mit einem Türmchen über dem Eingang. Der in Terrassen angelegte Garten war von einer hohen Mauer umgeben. An dem massiven Gittertor stand kein Name.
Als Gabriel auf den Klingelknopf der Sprechanlage drückte, ertönte Gebell. Wenige Sekunden später kamen zwei belgische Schäferhunde wild kläffend hinter der Villa hervor und fletschten die Zähne. Sie rasten aufs Tor zu und schnappten durch die Gitterstäbe nach Gabriel. Dieser trat rasch einen Schritt zurück und legte eine Hand auf den Türgriff des Peugeots. Er mochte Hunde nicht besonders und war erst vor kurzem von einem deutschen Schäferhund angefallen worden, was ihm einen gebrochenen Arm und Bißwunden eingebracht hatte, die mehrere Dutzend Stiche erfordert hatten. Langsam schob er sich nach vorn, um die Wachhunde nicht wieder zu reizen, und klingelte nochmals. Diesmal meldete sich eine Frauenstimme, die wegen des wilden Gekläffs jedoch kaum zu hören war.
»Oui?«
»Madame Carcassi?«
»Ich heiße jetzt Huber. Carcassi war mein Mädchenname.«
»War Ihre Mutter Regina Carcassi aus Tolmezzo im Friaul?«
Kurzes Zögern, dann: »Wer bitte sind Sie?«
Als die Hunde den besorgten Unterton in der Stimme ihrer Herrin hörten, kläfften sie noch wilder. Nachts hatte Gabriel sich nicht entscheiden können, wie er an die Tochter Regina Carcassis herantreten sollte. Jetzt, da Schäferhunde geifernd nach ihm schnappten und ein von den Alpen kommender Sturmwind ihn umzuwerfen versuchte, war er zu ungeduldig für Täuschungsmanöver und erfundene Geschichten. Er streckte die Hand aus und klingelte nochmals.
»Mein Name ist Gabriel«, brüllte er, um das Bellen der Hunde zu übertönen. »Ich arbeite für die israelische Regierung. Ich glaube, ich weiß, wer Ihre Mutter ermordet hat, und ich glaube, den Grund dafür zu kennen.«
Aus der Sprechanlage kam keine Antwort. Die einzigen Geräusche waren die Knurrlaute der Hunde. Gabriel fürchtete, überstürzt gehandelt zu haben. Er wollte nochmals klingeln, ließ dann aber die Hand sinken, als er sah, daß die Haustür aufging und eine Frau ins Freie trat. Sie blieb kurz mit verschränkten Armen stehen, während ihr langes schwarzes Haar im Wind wehte, dann trat sie langsam ans Tor, um Gabriel und Chiara durch die Gitterstäbe zu mustern. Sie schien mit dem Ergebnis zufrieden zu sein, denn sie sah auf die Hunde herab und wies sie mit einigen knappen Worten zurecht. Die Schäferhunde hörten gehorsam auf zu bellen, trollten sich und verschwanden hinter der Villa. Frau Huber griff in die Tasche, holte eine Fernbedienung heraus und drückte darauf. Das Tor öffnete sich langsam, und die Hausherrin winkte die beiden herein.
Sie saßen in einem rechteckigen Wohnzimmer mit Terrakottaboden und damastbezogenen Sitzmöbeln bei Kaffee mit aufgeschäumter Milch. Der Mistral ließ die Terrassentüren leise klappern. Gabriel blickte unwillkürlich mehrmals zu ihnen hinüber, weil er glaubte, jemand versuche einzubrechen, aber jedesmal sah er nur den gepflegten Garten, dessen Bäume sich im Sturm bogen.
Sie hieß Antonella Huber: eine gebürtige Italienerin, die einen deutschen Geschäftsmann geheiratet hatte und mit ihm in Südfrankreich lebte – eine typische Angehörige jenes reichen europäischen Mittelstands, der sich in vielen Ländern und vielen Kulturen wohlfühlt. Sie war eine attraktive Mittvierzigerin mit schulterlangem schwarzem Haar und sonnengebräuntem Teint. Aus den dunklen, fast schwarzen Augen sprach wache Intelligenz. Ihr Blick war offen und unerschrocken. Gabriel fielen die Tonränder an ihren Fingernägeln auf. Er sah sich im Raum um und stellte fest, daß überall Keramiken standen. Antonella Huber war eine erfahrene Töpferin.
»Tut mir leid, daß die Hunde Sie erschreckt
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