Die Loge
gewünscht, ihn zur Strecke bringen zu können. Sein Wunsch war jedoch nie in Erfüllung gegangen.
Er blätterte die Akte durch, die hoffnungslos dünn war. Hier ein Bericht des französischen Geheimdiensts, da eine von Interpol herausgegebene Warnung, dort eine Meldung, der Leopard sei angeblich in Istanbul gesehen worden. Dazu drei Photos, obwohl nicht feststand, ob sie wirklich den Leoparden zeigten. Die Aufnahme an Bord der Jacht im Hafen von Larnaca, ein Überwachungsphoto aus Bukarest und ein weiteres vom Pariser Flughafen Charles de Gaulle. Schamron legte das Photo aus London daneben und sah zu Jossi auf, der ihm über die Schulter blickte.
»Das und dieses hier, Boss.«
Schamron nahm das Bukarester Photo aus der Reihe und legte es neben die Londoner Aufnahme. Der gleiche Blickwinkel, schräg von vorn aufgenommen, das Gesicht im Halbprofil von links abgebildet, nur teilweise zu sehen.
»Vielleicht täusche ich mich, Jossi, aber ich denke, das könnte der gleiche Mann sein.«
»Schwer zu sagen, Boss, aber der Computer kann uns vielleicht Gewißheit verschaffen.«
»Vergleichen Sie die beiden«, sagte Schamron, dann griff er nach den Akten. »Die möchte ich behalten.«
»Sie müssen einen Entnahmeschein unterschreiben.«
Schamron sah Jossi über seine Brille hinweg an.
Jossi sagte: »Ich unterschreibe für Sie.«
»Guter Junge.«
Schamron griff ein letztes Mal nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer der Reisestelle. Als er seine Reisevorbereitungen getroffen hatte, legte er die Ordner in seinen Aktenkoffer und fuhr nach unten. Ich komme, Gabriel, dachte er dabei. Aber wo zum Teufel steckst du?
22
A UF DEM L IGURISCHEN M EER
Bei Tagesanbruch kamen an Backbord die Felsen von Cap Corse in Sicht. Chiara steuerte die Jacht um die Nordspitze Korsikas herum und ging auf Nordwestkurs. Vor ihnen baute sich eine bleigraue Wolkenwand auf, die Regen bringen würde. Der Wind hatte merklich aufgefrischt, und es war plötzlich viel kälter. »Der Mistral«, erklärte Chiara. »Heute bläst er wirklich stark. Der Rest der Fahrt wird weniger angenehm, fürchte ich.«
An Backbord erschien eine Autofähre, die aus L'Ile-Rousse kommend nach Frankreich lief. »Die fährt nach Nizza«, sagte sie. »Wir können ihrem Kurs folgen und auf Cannes zuhalten, sobald wir die Küste ausmachen.«
»Wie lange noch?«
»Fünf bis sechs Stunden, wegen des Mistrals vielleicht etwas länger. Übernehmen Sie mal das Ruder. Ich gehe in die Kombüse runter und versuche, ein Frühstück zu improvisieren.«
»Sehen Sie auch nach, wie es dem Skipper geht.«
»Wird gemacht.«
Das Frühstück bestand aus Kaffee, Toast und einem Stück Hartkäse. Sie hatten jedoch kaum Zeit dafür, denn eine halbe Stunde nach der Umschiffung von Cap Corse brach der Sturm los. In den folgenden vier Stunden stampfte die Jacht durch von Norden heranrollende Wogen und Regenfronten, während sich die Sicht teilweise auf weniger als hundert Meter verringerte. Irgendwann verloren sie den Sichtkontakt zur Fähre. Aber das war nicht weiter bedenklich; Chiara navigierte einfach nach Kompaß und GPS.
Gegen Mittag hörte der Regen auf, aber der Wind blies unaufhörlich weiter. Er schien in Küstennähe sogar stärker zu werden. Der Regenfront folgte ein Kaltlufteinbruch, und während der letzten Stunde der Fahrt wechselten Sonnenschein und Wolkenschatten in Abständen von wenigen Minuten. Das Meer änderte seine Farbe je nach Sonneneinstrahlung und war mal graugrün, mal dunkelblau.
Schließlich erschien genau vor ihnen Cannes mit dem charakteristischen Streifen aus blendendweißen Hotels und Apartmenthäusern entlang der Croisette. Chiara steuerte den Alten Hafen am anderen Ende der Stadt an. In der Sommersaison würde es auf den Straßen um den Vieux Port von Touristen wimmeln, während sich im Hafen Luxusjachten drängten. Jetzt waren die meisten Restaurants eindeutig geschlossen, und im Hafen gab es reichlich freie Liegeplätze.
Chiara ließ Gabriel an Bord zurück und ging einige Straßen weiter zur Rue d'Antibes, um sich einen Leihwagen zu nehmen. Während sie unterwegs war, nahm Gabriel dem bewußtlosen Skipper die Fesseln ab. Chiara hatte ihm vor vier Stunden die letzte Injektion gegeben, was bedeutete, daß er noch einige Stunden außer Gefecht gesetzt sein würde.
Gabriel ging wieder an Deck und wartete auf Chiara. Einige Minuten später fuhr ein Peugeot mit Heckklappe in eine Parklücke auf dem Quai St. Pierre. Chiara stieg gerade lange genug
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