Die Logik des Verruecktseins

Alkoholintoxikation wäre z.B. eine exogen verursachte Störung. Als reaktiv bezeichnet man eine psychische Erkrankung dann, wenn die Ursache im Außen begründet, aber nicht stofflich ist, ein Beispiel wäre die depressive Reaktion nach unfreiwilliger Trennung. Die verschiedenen Auslösungsgründe für psychische Krisen sind theoretisch unendlich. Das Gehirn hat aber nicht unendlich viele Reaktionsmöglichkeiten, um auf potentiell unendlich viele Schädigungsprozesse zu reagieren, sondern wenige, in unserer Sprache, Binnenvolumen-Raum-Konfigurationen, die sich zeigen, wenn das Gehirn »überstresst« reagiert. Auf die Existenz der Binnenvolumen-Raum-Konfigurationen als seelisches Strukturgerüst lässt sich zwingend schließen, wenn man über den Operationalisierungs-Tellerrand hinausschaut und psychiatrischen Erkrankungen vergleichend analysiert.
    Dehnen wir nun einfach diese bis heute nicht wirklich in aller Tragweite in die Psychiatrie vorgedrungene Erkenntnis auf die reaktiven, psychogenen, neurotischen und psychotischen Krankheitsbilder aus. Wir sagen: Alle psychischen Erkrankungen beinhalten ein Binnenvolumen-Raum-Verhältnis, das den Betroffenen helfen soll, eine bestimmte Gefahrensituation zu bestehen, schwächen aber gleichzeitig das
Individuum aufgrund eines alarmbedingten Haftenbleibens in diesen Binnenvolumen-Raum-Verhältnissen.
    Viele Wege können in das Zentrum einer Stadt führen und viele nosologische Wege können, das sollte an den differentialdiagnostischen Überlegungen am Fall Naseberg gezeigt werden, in das Zentrum des Seelenlabyrinths führen. Einmal im Zentrum angekommen, befindet man sich an einem bestimmten Ort und hat eine bestimmte Umgebungssituation, egal von welcher nosologischen »Himmelsrichtung« man angereist war.
     
    Dieses Kapitel hat versucht, zentrale Wesensarten des Seelenlabyrinths zu erkunden. Wir sehen, noch verschwommen, aber in ersten Umrissen, dass das Labyrinth einer geordneten Struktur gleicht. Es geht um unterscheidbare Binnenvolumen-Raum-Verhältnisse mit unterschiedlichen Binnenvolumen und unterschiedlichen, darauf abgestimmten Raumhorizonten. Reduktion des Binnenvolumens geschieht bei Alarmierung zur Bewältigung eines bestimmten Gefahrenhorizontes, und der Angst kommt als Alarmgeber eine zentrale Rolle zu.
    Nervensysteme sind somit so etwas wie Projektoren, die ihre Umgebungssituation in sich simulieren. Wir nehmen Informationen aus der Welt auf, verarbeiten sie in unserem Gehirn und setzen diese Informationen zu einem subjektiven Bild zusammen. Eine gelungene Simulation ermöglicht dem Organismus durch sein Nervensystem eine hinlänglich ausreichende und zutreffende Selbsttäuschung über das, was um ihn herum gerade geschieht. Und simuliert hoffentlich zutreffend Gefahrenmomente, die außen vorhanden sind. Allerdings kann man sich täuschen. Angeleitet durch zu viel Angst kann etwas simuliert werden, das so gar nicht als Gefahr existent ist. Psychopathologische Phänomene sind Ausdruck einer Fehlalarmierung und einer unzutreffenden Selbsttäuschung im Simulationsprozess des Weltverständnisses.
     
    Zunächst wollen wir es, etwas erschöpft von den neuen Eindrücken, hierbei belassen und im folgenden Kapitel den zweiten Raum ausführlicher erkunden und uns dabei vor allem den Aufgaben der ersten Ergänzer zuwenden. Diese besitzen zentrale Funktionen im Einüben
von Gefahrensituationen und sind jahrelang tätig an der Geschmeidigmachung und Treffsicherheit des dynamisch operierenden Binnenvolumens.
    Doch eine Erkenntnis wollen wir noch mit hinüberretten. Im ersten Raum, im Zentrum, ist alles so, wie es ist, oder es ist nicht da. Nichts gibt sich den Anschein von etwas. Beispielsweise fließt Blut durch die Nabelschnur oder eben nicht. Es gibt keine Täuschungsmöglichkeit und Ehrlichkeitsunschärfen im ersten Verhältnis. Dass die Dinge in den Menschenverhältnissen auch anders sein können, als es den Anschein hat, also nasebergsche, betrügerische Unschärfen erscheinen, davon gibt erst der Aufenthalt im zweiten Raum uns Menschen eine Ahnung. Glücklich, wer hier nicht allzu früh Erfahrung sammelt.

5. Der geteilte Raum
    Gefahrenmomente des menschlichen Aufeinanderangewiesen-Seins
    Im optimalen Fall wartet hinter dem ersten Tor das bergungsbereite Rettungsboot, das den Namen »Love boat« trägt. Von nun an beginnt das verwobene Aufeinandereinspielen des zum Kind gewordenen »Es« mit dem jetzt biologisch reduziert auftretenden Ergänzer. War das Verhältnis