Die Logik des Verruecktseins
anwachsenden Merkmalsausprägung bei den Männchen noch bedeutsamer werden lässt. Schließlich haben Männchen, die nur eine rote Kurzhaarfrisur tragen, obwohl sie das gewünschte Merkmal besitzen, keinen Erfolg mehr bei den Weibchen. Über die Paarung hinaus findet zwischen den Geschlechtspartnern
kein Kontakt statt. Im nächsten Reproduktionszyklus sucht sich das Weibchen einen neuen Sexualpartner, was die Arena der männlichen Konkurrenz zwischen den Individuen und zwischen ihren Genen ebenfalls noch unerbittlicher werden lässt.
Papa-Potenz: Die sexuelle Selektion Variante II
Die Evolution der »Schienenbeißer« verläuft ganz anders. Da diese klein sein müssen, um sich schnell und geschwind in der gefährlichen Gleiswelt bewegen zu können, sind die Männchen nicht in der Lage, sich evolutionär Richtung Körpergröße und Körperkraft zu entwickeln. Im Gegenteil, die Weibchen würden eher Männchen mit kleiner Körpergröße präferieren und diese Bevorzugung würde sich über den Evolutionszug in der Population ausbreiten. Dies könnte z.B. dazu führen, dass letztlich der Sexualdimorphismus dieser Art so aussieht, dass die Männchen kleiner sind als die Weibchen.
Die Weibchen haben aber noch ein weiteres Problem zu lösen. Ihr Lebensumfeld ist deutlich gefährlicher als das der Art der »Wartenden«. Sie müssen mit Raubtieren rechnen und darüber hinaus mit heranrollenden lebensgefährlichen Bahnrädern. Die Schwangerschaft kann sie dann als dritte Gefahr unbeweglicher machen, weniger wendig und somit gefährden, überrollt zu werden. Haben sie die Nachkommen zur Welt gebracht, stillen sie als Säugetiere ihre Jungen. Die Nahrungssuche ist äußerst gefährlich, der sicherere Ort wäre demnach das heimische Nest. Wie aber an Nahrung gelangen, ohne das Nest zu verlassen?
Es gibt jemanden, der das gleiche Interesse hat wie die Mutter, dass seine Gene in den Zeitzug der Evolution gelangen. Damit dies geschieht, muss die Mutter zumindest die Schwangerschaft und die Stillzeit überleben und ebenfalls die Jungen. Gemeint ist natürlich der Vater. Im Gegensatz zu den »Wartenden« kann es sich das »Schienenbeißermännchen« nicht leisten, sich am reproduktiven Geschäft der Schwangerschaft und Stillzeit nicht zu beteiligen. Er muss zumindest in dieser Zeit, besser noch darüber hinaus, die Partnerin unterstützen
und zeitweilig alleine die Nahrung für sie und die gemeinsamen Jungen in der gefährlichen Schienenwelt auftreiben. »Schienenbeißerweibchen« werden deshalb Männchen »bevorzugen müssen«, die bei ihnen bleiben und sich um sie kümmern. Sie legen weniger Wert auf äußerliche Merkmalssignale der Männchen als vielmehr auf sein tatsächliches Handeln und seine Unterstützung. Sie haben auch kein großes Interesse, in jedem Reproduktionszyklus ein anderes Männchen auszuwählen, liefen sie doch Gefahr, auf eines hereinzufallen, das sie im Verlauf im Stich lässt. Haben sie einmal ein Männchen gefunden, das sich zuverlässig um sie und ihre Jungen kümmert, bleiben sie, unter Umständen lebenslänglich, bei dem Männchen. Männchen und Weibchen unterscheiden sich deshalb äußerlich nicht wesentlich voneinander. Die Männchen besitzen keinen Merkmalsschmuck wie buschiges rotes Haupthaar, in ein solches muss evolutionär nicht investiert werden. Wohl aber in fitnesssteigernde Bekümmerungskompetenz der Männchen. Im Miteinanderleben entdecken die Weibchen die »Brauchbarkeit« der Männchen, nicht an »billigem« Schmuck.
Fast überall im Tierreich ist das wählerische Geschlecht, in der Regel die Weibchen, das weniger prächtige. Je stärker der »Prachtunterschied« zwischen dem auswählenden und dem zu wählenden Geschlecht ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Männchen nicht an der Jungenaufzucht beteiligen. Je ähnlicher Männchen und Weibchen hingegen in der Merkmalsausprägung und der Körpergröße sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine monogame Lebensgemeinschaft besteht.
Der dritte Seelenraum: Ankunft des Vaters
Die hieraus resultierende Anwesenheit der Väter bei den Jungen ändert natürlich auch das emotionale Verhältnis zum eigenen Nachwuchs wie umgekehrt zum Erzeuger. Beide müssen im evolutionären Prozess mehr emotionale Verbundenheit entwickeln und sich stärker aneinander binden. Und damit haben wir, fast nebenbei, mit Hilfe
unseres evolutionären Kompasses den dritten Raum unseres Seelenlabyrinths betreten. Wieder hat sich der
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