Die Lucifer-Connection (German Edition)
gingen ein Stück die Whitechapel Road hinunter, zu einem hässlichen Supermarkt, für den Ende der neunziger Jahre die Winthrop Street plattgemacht worden war. Früher hatte die Gasse Buck’s Row geheißen und war eine der gemeinsten Hinterstraßen von Whitechapel gewesen. In ihr lag das berüchtigte Barbers-Pferdeschlachthaus, und am 31. August 1888 fand man hier die Leiche von Mary Ann Nichols, dem ersten Ripper-Opfer. John hatte auf dem Parkplatz des Supermarkts sein Auto abgestellt. Gill lachte, als er den bulligen BMW erkannte.
„Du fährst immer noch diese Schrottkarre?“
„Sag kein schlechtes Wort über den Wagen. Groß und stark.“
„Und jede Woche in der Werkstatt.“
„Ich liebe dieses Auto.“
„Tradition der Roten Armeen. Bei uns haben Baader-Meinhof auch BMWs gefahren. Wahrscheinlich dasselbe Modell wie deins. Höchstens eines davor.“
„Im Auto hat man sie jedenfalls nicht erwischt. Was willst du? Ich habe eine Desert Eagle und eine Beretta.“
„Was für eine? Die 92F?“
„Ja.“
„Gib mir die Beretta. Ich bin ein altmodischer Typ.“
Sie fuhren nach Mayfair, und John machte das Unmögliche wahr: er fand einen regulären Parkplatz.
Die Galerie war der teuren Geschäftslage entsprechend exklusiv. An den Gemälden gab es keine Preisauszeichnungen. Wer hier einkaufte, interessierte sich kaum für den finanziellen Aspekt – es sei denn, er gehörte zu den Anlegern, die aus Kunst Big Business gemacht hatten. Die Räume waren spartanisch eingerichtet. Aus unsichtbaren Lautsprechern rieselten leise Rockballaden als Sirup für die Ohren. Eine junge Frau bekam von John den Auftrag, den Inhaber herbeizubitten.
Feminin trippelte ein älterer Mann mit blondgefärbten Haaren und einem gelifteten Puppengesicht auf sie zu. Der parfümierte, grellviolette Seidenanzug verstieß gegen die Genfer Konvention. „John, mein Lieber, warum warst du letzten Sonntag nicht auf meiner Matinee für Coleburn? Er ist das Heißeste, was London momentan zu bieten hat. Es war très chic. Ich musste diesen albernen Musiker Doherty rauswerfen. Unangenehm betrunken. Da hätte ich deine Hilfe brauchen können. So ein widerlicher Bub! Alle waren sie da – nur du nicht. So wird das aber nichts mit deiner kleinen Schreiberkarriere. Du musst schon ein wenig mithelfen, um bekannt und beliebt zu sein.“
„Ich hatte keine Einladung, Carl.“
„Nein? Was bin ich doch für ein böser, böser Bube. Ich könnte im Boden versinken. Aber du hast nicht wirklich etwas verpasst. Nur schlimme Menschen waren da. Alles Analphabeten. Keine ernsthaften Kunstliebhaber wie wir beide.“
„Ich hätte mich mit deinem Champagner vergnügt.“
„Ach, ich habe nur Krug aufgefahren. Bin ich nicht ein unartiger Junge? Habe ihnen einfach dieses läppische Sprudelwasser vorgesetzt. Aber die merken ja den Unterschied nicht. Das war schon sehr ungezogen von mir, nicht wahr?“
„Sehr ungezogen.“
„O ja. Ich bin ein schlimmer kleiner Junge geworden. Manchmal graust mir vor mir selbst, so schlimm bin ich. Wenn ich mich nicht bald zusammenreiße, gibt’s bestimmt was hintendrauf. Wer ist denn der große, attraktive Mann bei dir?“
Gill hatte sich während des Geplänkels in der Galerie umgesehen und wandte sich nun Carl zu.
„Mr. Gill kommt aus Deutschland. Gill, das ist Carl Bernson. Londons größter Kunsthändler und Galerist.“
„Du schlimmer Schmeichler. Schauen Sie sich bloß nicht um, Mr. Gill. Das ist alles ganz furchtbar. Aber meine Kundschaft will diesen Mist. Die abstrakte Kunst ist doch nur Dekoration. Ein Bild, das nicht gegenständlich ist, hat keinen Bezug zur Realität. Reines Design. Mondrians Bilder sind lediglich besseres Linoleum. Und Albers produzierte Tapeten. Und jetzt dieser junge Schnösel Coleburn. Der wird doch nur geliebt, weil er so jung und so schön ist.“
„Und dir eine Menge Geld bringt, was?“
„Ich bin schon ein Schlimmer. Ja, für das Geld verzeihe ich ihm sogar seine Jugend. Wie bigott und gierig von mir. Ich hasse diese jungen Leute. Ständig erzählen sie einem Sachen, die man schon längst weiß. Und dabei denken sie, sie hätten sie als Erste rausgekriegt.“
„Zaran.“
„Was ist mit meinem Freund Zaran? Ein echter Gentleman. Leider war ich auch schon mal sehr ungezogen zu ihm. Ich bin aber auch zu schlimm. Mit seiner großmütigen Natur hat er es mir nie nachgetragen – aber ich verzeihe mir das nie.“
„Wo steckt er? Er ist in London.“
„Aber, John! Du gehörst
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