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Die Lucifer-Connection (German Edition)

Die Lucifer-Connection (German Edition)

Titel: Die Lucifer-Connection (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Compart
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gerade Golf-GTI-Fahrer ist und Boss-Anzüge für den Sinn der Zivilisation hält. Gill dachte an die letzte London-Novel, die er gelesen hatte und die den morbiden Zauber des viktorianischen Eastends so schrecklich wie faszinierend beschrieb: „Drood“ von Dan Simmons.
    Im Eastend hielt und hält man nicht viel von staatlicher Autorität. Mit dem Staat hat man hier nichts am Hut. Der hat keinem Eastender je was Gutes getan. Hier herrschen eigene Gesetze, wie in dem kleinen, unbesetzten gallischen Dorf. Wenn es Ärger gibt – und den gab und gibt es oft – ruft man nicht nach dem Copper. Das regelt man unter sich. Tatsächlich sehen die Polizeistationen, etwa Bow Police Station, wie verbarrikadierte Steinforts aus. Allerdings sucht man an diesen klirrend stillen Trutzburgen vergeblich nach der Zugbrücke. Bobbys sieht man so gut wie nie die Straße entlangschlendern. Sie wären eine Provokation. Und rauszukriegen ist für die Bullen sowieso nichts; da können sie so viele Fahndungsplakate an ihre eisernen Revierzäune hängen, wie sie wollen. Den „Wall of Silence“ gibt es noch immer.
    Während des Zweiten Weltkriegs war das Viertel ein Hort der Fahnenflüchtigen. Zur Armee gingen nur die Jungs, die als Boxchamps schneller vorankommen wollten. Das soziale Netz hieß Nachbarschaftshilfe, und es war Ehrensache, Flüchtigen Unterschlupf zu gewähren. Mile End und das Elternhaus der Krays hatten denselben Spitznamen: Deserter’s End. Damals gab es hier mehr Deserteure als Toiletten mit Wasserspülung.
    Nirgendwo in England war und ist die Arbeitslosigkeit höher und die Verachtung für die Regierung stärker als im Eastend. Die Männer – wenn sie sich nicht gerade prügeln, Kinder machen oder krummen Geschäften nachgehen – hängen in den Pubs, Wettbuden oder den Social-Clubs herum. Es sind die starken Frauen, die hier das Überleben organisieren, die Brut voller Liebe hochziehen und gelegentlich ein blaues Auge kassieren, wenn der Alte besoffen heimkommt. Hier lebt man mit dem Rücken an der Wand, und ein Wettgewinn wird nie mehr sein als ein paar Tage Freidrinks für die Kumpel im Pub.
    Vieles hatte sich seit den neunziger Jahren verändert: Bethnal Green war schick geworden. Davon zeugten renovierte Häuser, in denen sich Künstler und Medienleute einquartiert hatten. Statt billigen indischen Restaurants und Fish & Chips-Buden gab es jetzt teure indische Restaurants und französische Küche. Aber bis sich dieser Abschaum nach Stoke Newington durchgefressen hatte, würden noch ein paar Jahrzehnte vergehen, tröstete sich Gill.
    Er schlenderte in die lange Commercial Street, die ihrem Namen alle Ehre machte. Sie führt mitten ins Gewühl von Whitechapel und war eine der wichtigsten Lebensadern des Eastend. Ein altes Manufakturgebäude nach dem anderen – die alten vier- bis sechsgeschossigen Häuser mit ihren ungepflegten Fassaden beherbergten Hunderte von Textilfirmen. An den mit Paketen und Papp-Containern vollgestopften Bürgersteigen wurden LKWs be- und entladen. Hier schlug das Herz der englischen Bekleidungsindustrie, die heute fest in der Hand von Indern, Pakistani und ein paar schwerreichen britischen Moguln ist.
    Zwischen Neubauten und alten, verlassenen Fabrikgebäuden mit eingeschlagenen Fenstern führten zahllose Ausgänge auf unübersichtliche Hinterhöfe und in kleine dunkle Gassen. Die Gegend war nicht kontrollierbar – ein Alptraum für jede deutsche Behörde. Ein düsteres Labyrinth, in dem der hässliche Kapitalist der Minotaurus war.
    Rechts von Gill lag die schmale, wenig einladende Duval Street, die leider einem Gebäudekomplex hatte weichen müssen. Früher hieß sie Dorset Street, und Detective Sergeant Benjamin Leeson hatte 1934 in seinen Memoiren „Lost London“ geschrieben: „Es bleibt offen, ob die Dorset Street oder der Ratcliffe Highway die Ehre für sich in Anspruch nehmen konnte, die schlimmste Verbrecherstraße Londons zu sein. So mancher Konstabler, der einen fliehenden Verbrecher verfolgte, gab die Jagd auf, wenn sich der Missetäter in den Schutz der Dorset Street begab.“
    In der schmalen Passage Miller’s Court, kurz bevor die Duval Street in die Crispin Street mündete, hatte Jack the Ripper Mary Jane Kelly niedergemetzelt. Die alte Kneipe Ten Bells stand noch. Hier hatte die arme Mary ihren letzten Gin getrunken, bevor sie dem Ripper begegnet war.
    Die Gegend von Commercial Road bis Brick Lane im Osten und Whitechapel Road im Süden heißt Spitalfields. Noch bis

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