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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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seinen Plan.
    Um genau fünfzehn Minuten vor sieben Uhr abends bekamen wir unsere zweite Chance.
    Diesmal wartete unser Kahn ganz nahe am Ufer, hinter einer Landzunge, die von dichtem Schilf und Weidengebüsch bewachsen war. So war er vom Uferweg aus nicht mehr zu sehen. Ich hatte mich derweil im Dickicht des Parks versteckt, um die Lage zu beobachten und dem Boot ein Zeichen zu geben, wenn die Gendarmen und Wärter weit genug vom König entfernt waren. Erst dann würden wir die Flucht riskieren.
    Der Regen hatte nun fast aufgehört, schwarzgraue Wolken bedeckten den Himmel und tauchten den Park in trübes Zwielicht. Ich kauerte hinter einem der Büsche in der Nähe des Weges und spürte, wie die Nässe langsam meinen Rücken hinunterkroch. Immer wieder zog ich meine Taschenuhr hervor, doch die Zeiger schleppten sich schneckengleich von Ziffer zu Ziffer. Mir war, als säße ich schon Tage in diesem Gebüsch, meine Glieder schmerzten, und ein leichtes Fieber ließ mich am ganzen Leib frösteln.
    Endlich, als ich schon nicht mehr daran glaubte, hörte ich vom Schloss her Schritte auf dem Kies knirschen. Schon nach kurzer Zeit sah ich Ludwig und Dr.   von Gudden den Uferweg entlangspazieren. Beide hielten eingerollte Schirme in der Hand; Gudden trug Zylinder und einen schwarzen Mantel wie zu einer Beerdigung, der König hingegen einen hellen, vorne aufgeknöpften Sommermantel und einen modischen Bowler. Zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass diesmal keine Pfleger oder Gendarmen in der Nähe waren. Ich wartete noch eine Weile, während der König und sein Arzt näher auf mich zukamen. Doch noch immer zeigten sich keine Wächter.
    War das möglich? Ich hatte zumindest damit gerechnet, dass die Wärter ihnen in gebührendem Abstand folgen würden. Doch jetzt sah es ganz so aus, als hätte man sie absichtlich im Schloss gelassen, ebenso wie die Gendarmen.
    Gespannt beobachtete ich, wie das ungleiche Paar immer näher auf mein Gebüsch zukam. Zwanzig Meter, zehn Meter … Zu meinem Entsetzen blieben sie direkt vor mir stehen. Was sollte ich tun? Eigentlich war nun der Moment gekommen, an dem ich das vereinbarte Zeichen hätte geben müssen. Aber dadurch hätte ich mein Versteck verraten, Dr.   von Gudden hätte mich ohne Zweifel erkannt und bei den Behörden angezeigt.
    Während ich noch zögerte, begann der König zu sprechen. Die nächsten Minuten werde ich bis zu meinem Tod nicht vergessen, jede Sekunde davon ist auf ewig in mein Gedächtnis eingebrannt.
    »Sie wissen, dass Sie einen Fehler gemacht haben«, begann der König leise, aber bestimmt. »Sie haben sich aus purer Eitelkeit von diesen Ministern vor den Karren spannen lassen, und jetzt ist Ihr guter Ruf bedroht. Nehmen Sie Ihr Gutachten zurück, Dr.   von Gudden, und ich verspreche Ihnen, dass ich Sie in Amt und Würden lasse.«
    »Euer Majestät, ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden«, erwiderte der Doktor. Seine Stimme klang seltsam rau, fast panisch. Aus der Nähe sah ich zudem, dass sein Gesicht aschfahl war. Etwas schien ihm große Angst zu bereiten. »Ich habe Ihnen bereits mehrfach gesagt, dass eine nähere Beobachtung nicht notwendig war«, stieß er hervor. »Die Beweise sind evident. Außerdem ist es durchaus üblich, dass Nervenkranke nach ihrer Einweisung zunächst normal erscheinen. Das muss nichts bedeuten. Mein Gutachten ist unanfechtbar.«
    »Wer steckt dahinter? Wer?« Ludwigs Ton wurde jetzt aggressiver, er trat auf den kleinen Mann zu, den er um fast zwei Köpfe überragte. »Ist es Lutz oder Graf Holnstein? Prinz Luitpold selbst? Sagen Sie es mir! Ich weiß, dass Sie mir alle hier nach dem Leben trachten. Ich habe es in Ihren Augen gesehen, Gudden! Vorhin beim Souper! In Ihren Augen glitzert die nackte Angst.«
    »Euer Majestät, ich schwöre …«
    Ludwig hatte den schmächtigen Arzt jetzt beim Kragen gepackt, er begann ihn zu schütteln. Guddens Gesicht lief puterrot an.
    »Schwören Sie nicht, Gudden!«, knurrte der König jetzt. »Sie lügen, wenn Sie den Mund aufmachen. Ihnen ist klar, dass Sie mich nicht ewig hier einsperren können. Ich werde Bismarck telegrafieren, ich habe immer noch einflussreiche Freunde. Ich bin kein sabbernder Irrer wie mein Bruder Otto, ich bin der König. Und wenn ich hier rauskomme, dann …«
    In diesem Augenblick peitschte ein Schuss durch die graue Dämmerung, und gleich darauf ein zweiter. Beide waren sie nicht laut, eher dumpf wie das Platzen einer Papiertüte. Trotzdem ließen sie mir das

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