Die Ludwig-Verschwörung
grauenhaft schmeckten, spürte Steven, wie seine Lebensgeister langsam wieder erwachten. Er hatte Sara alles erzählt, was auf den ersten Seiten des Tagebuchs gestanden hatte. Die meiste Zeit hatte sie nur schweigend zugehört und an ihrem starken Kaffee genippt.
»Wenn das Tagebuch echt ist, ist das eine Sensation«, murmelte sie schließlich. »Ich glaube nicht, dass es weitere Dokumente gibt, die derart gut belegen, dass Ludwig das Opfer einer Intrige der Minister war.«
»Was heißt hier Intrige?«, warf Steven ein und tunkte sein Hörnchen in die Kaffeetasse. »Der König war hochgradig verrückt! Denken Sie nur an die schwarze Maske, die ein Diener tragen musste. Die eingebildeten Gespräche mit Ludwig XIV., diese bombastischen Schlösser, die Verkleidungen …«
»Herr Lukas, eine Frage«, warf Sara ein. Sie wirkte plötzlich leicht ungehalten, fast so, als hätte Steven sie persönlich beleidigt. »War Michael Jackson verrückt?«
Der Antiquar runzelte die Stirn. »Michael Jackson? Was hat das jetzt damit zu tun?«
»Nun, der King of Pop lebte auf seiner Farm Neverland wie ein König, er verbarg sein Gesicht hinter einer Atemmaske, hielt sich einen Affen und schlief unter einem Sauerstoffzelt. War er verrückt?«
»In gewisser Weise könnte man sagen, dass …«
»Hätten Sie ihn in ein Irrenhaus gesperrt?«
Steven schüttelte empört den Kopf. »Natürlich nicht.«
»Sehen Sie, da liegt das Problem«, erwiderte Sara trocken. »Manche Menschen sind nicht normal, sie sind seltsam, verschroben, meinetwegen bizarr. Aber wahnsinnig sind sie deshalb noch lange nicht. Und es gibt auch keinen Grund, sie einzusperren.«
Steven nickte. »Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Vermutlich hat Dr. von Gudden deshalb auch gezögert, als man ihm den Auftrag gab, Ludwig für verrückt zu erklären.«
»Alle Belege in dem späteren Gutachten stammen von den Lakaien des Königs«, sagte Sara und schmierte sich eine dicke Schicht Honig auf ihr Schokocroissant. »Von Karrieristen und korrupten Hofschranzen. Das ist so, als ob Sie in einer Firma die Fließbandarbeiter fragen, ob der Chef ein Arschloch ist, und ihnen gleichzeitig einen neuen Chef und eine bessere Bezahlung versprechen.«
Steven lächelte. »Man könnte fast meinen, dass Sie ein Faible für Ludwig haben.«
»Ich kann es nur nicht leiden, wenn einer für plemplem erklärt wird, nur weil er nicht so ist wie die übrigen Spießer.«
Eine Zeitlang herrschte Schweigen am Tisch. Schließlich räusperte sich Steven.
»Was soll ich Ihrer Meinung nach jetzt tun?«, fragte er. »Zur Polizei gehen und den Irrtum aufklären?«
»Nachdem die bei Ihnen Hut und Mantel meines Onkels und außerdem noch eine blutüberströmte Leiche gefunden haben?« Sara runzelte die Stirn. »Das wird schwer werden. Lassen Sie uns doch erst mal sehen, ob wir mehr über dieses Tagebuch rausfinden können. Vielleicht bekommen wir so ja auch einen Hinweis auf den Täter, der auch die Polizei überzeugt.«
Steven nickte. »Also gut, lassen Sie uns mal zusammenfassen, was wir bisher wissen«, begann er. »Dieses Tagebuch ist offenbar ein Zeitzeugenbericht über das letzte Lebensjahr des Königs, geschrieben von einem treuen Gefährten. Vermutlich werden wir darin auch etwas über seinen Tod erfahren. Aber was hat es mit diesen merkwürdigen Wortgebilden im Text auf sich?« Er griff nach dem Tagebuch, das auf der Küchenablage neben ihm lag. »QRCSOQNZO«, las er murmelnd vor. »Oder NECAALAI. Ich habe insgesamt fünf dieser Wörter in meinen bislang übersetzten Seiten gezählt. Und weiter hinten kommen noch viel mehr.« Er schüttelte den Kopf. »In Sheltons ›Tachygraphy‹ gibt es keinen einzigen Hinweis, wie diese Begriffe zu entschlüsseln sind.«
»Vielleicht ist es eine weitere Geheimschrift«, warf Sara ein. »Ein Code im Code sozusagen. Vielleicht wollte Marot etwas verbergen, was so ungeheuerlich ist, dass es zusätzlich verschlüsselt werden musste.«
Steven runzelte die Stirn. »Sie meinen, außer dem Mord an Ludwig steht noch etwas anderes da drin?«
»Ich stelle nur fest, dass Marot sich reichlich Mühe gegeben hat, etwas Bestimmtes sehr gut zu verbergen. Außerdem sind die Methoden dieses bösartigen Unbekannten, der Ihnen das Buch abjagen will, ziemlich raffiniert. Den verschrobenen Guglmännern hätte ich so was gar nicht zugetraut.«
Müde rieb sich Steven die Schläfen. »So oder so, wir werden das Rätsel vermutlich nie lösen. Es hat mich schon Stunden
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