Die Ludwig-Verschwörung
dem Nachlass einer alten Gräfin, die noch in den fünfziger Jahren mehreren Personen glaubhaft versichert hat, dass das Kleidungsstück dem König gehörte. Sie selbst hat immer wieder beteuert, Ludwig sei erschossen und das Kleidungsstück noch am Tatort ausgetauscht worden.«
»Was geschah mit dieser Gräfin?«, wollte Steven wissen.
»Sie kam bei einem ungeklärten Wohnungsbrand ums Leben. Der Mantel konnte glücklicherweise vorher gerettet werden.«
Sara runzelte die Stirn. »Meinen Sie denn wirklich, man hat sie umgebracht, weil sie die Wahrheit über den Tod des Königs wusste?«
»Ich meine gar nichts.« Onkel Lu zuckte mit den Schultern. »Trotzdem halte ich es für besser, wenn nur sehr wenig Leute erfahren, dass ich diesen Mantel besitze.«
»Aber was hat das nun alles mit Marots Tagebuch zu tun?«, warf Steven ungeduldig ein.
»Wartet«, brummte Zöller. »Ihr werdet es gleich verstehen.«
Noch einmal ging er zu dem kleinen Safe und kam diesmal mit drei heftgroßen Porträtskizzen zurück, die jeweils auf ein Stück Pappe aufgezogen waren. Sie sahen alt und fleckig aus, Steven glaubte Spuren getrockneten Wassers darauf zu erkennen.
»Diese Zeichnungen stammen von dem Porträtmaler Hermann Kaulbach, der für Ludwig II. immer wieder Auftragsarbeiten übernommen hat«, erklärte Onkel Lu. Mit seinen speckigen Fingern deutete er auf die beiden äußeren Bilder. »Die beiden hier zeigen den Leibarzt Max Schleiß von Loewenfeld und den königlichen Stallmeister Richard Hornig. Es gibt Gerüchte, dass die beiden gemeinsam mit Marot und Kaulbach in der Mordnacht am Starnberger See waren. Die Skizzen sind äußerst schnell im Regen angefertigt worden, vermutlich an jenem verfluchten 13. Juni 1886. Den Mann auf dem mittleren Bild dürftet ihr selber erkennen.« Zöller machte eine Pause, während Steven und Sara auf das Porträt eines dicklichen älteren Herren mit Bart starrten. Seine Augen waren geschlossen, der Mund wie zum stummen Schrei geöffnet. Aus dem linken Mundwinkel quoll dunkles Blut.
Es war eindeutig das Gesicht des Königs.
»Einige Leute behaupten, dass Kaulbach Ludwig II. nur Minuten nach seinem Tod gezeichnet hat«, sagte Zöller mit leiser Stimme. »Loewenfeld und Marot sollen auch dabei gewesen sein, sie waren sozusagen die ersten Tatzeugen. Der Assistent des Leibarztes sprach später von Mord, ebenso der Stallmeister Hornig. Und Loewenfeld hat man mundtot gemacht.« Er seufzte tief. »Beweisen konnte ich das alles bislang nicht. Aber jetzt kommt ihr mit diesem Tagebuch …«
»Können Sie sich erklären, warum Onkel Paul wegen dieses Kästchens sterben musste?«, fragte Sara. »Offenbar hat irgendwer selbst nach über hundert Jahren noch großes Interesse an dem alten Büchlein.«
Onkel Lu kratzte sich die unrasierte fleischige Wange und sah zur Decke.
»Lasst mich nachdenken. Ein Wissenschaftler vielleicht, der den Ruhm für sich einheimsen will? Vielleicht auch die Wittelsbacher. Das königliche Hausarchiv ist noch immer in großen Teilen nicht zugänglich. Die Familie legt großen Wert darauf, dass Ludwigs Tod weiterhin ein Geheimnis bleibt.«
»Trauen Sie denen einen Mord zu?«, warf Steven skeptisch ein.
Zöller schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Wobei die Wittelsbacher sicher gerne wüssten, was in dem Buch steht. Seit Jahrzehnten sperren sie sich gegen jede Form von Aufklärung. Wenn man Ludwigs Leiche in der Münchner Michaelskirche endlich einmal untersuchen dürfte, dann käme man der Todesursache sicher auf die Spur.« Er seufzte tief. »Aber genauso gut könnte man den Verkauf Neuschwansteins an die Japaner fordern. Wenn es um ihren Ludwig geht, kennen die Wittelsbacher keinen Spaß.«
»Was ist mit den Guglmännern?«, fragte Sara plötzlich. »Könnten die was damit zu tun haben?«
Onkel Lu lachte, dass seine Wangen schlackerten wie bei einem fetten Köter. »Diese Verrückten? Das letzte Mal, als ich was von denen gehört habe, wollten sie die Münchner Prinzregentenstraße in Prinzrebellenstraße umbenennen. Außerdem fordern sie Euro-Münzen mit dem Ludwig-Konterfei, weil ihnen der preußische Adler nicht behagt.« Er beugte sich zu Sara vor. »Wussten Sie, dass es eine Theorie gibt, die Guglmänner seien nichts weiter als die Erfindung einer Kölner Werbeagentur? Immerhin ein interessanter Gedanke.«
Kurz war Steven versucht, Albert Zöller zu erzählen, dass diese Verrückten ihm schon zweimal aufgelauert hatten, doch dann entschied er sich dagegen.
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