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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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gelesen.«
    Sara lächelte ihn an. Mit einem Mal spürte der Antiquar, wie sein Herz einen kleinen Sprung machte. Ein derartiges Lächeln war er von Frauen nicht mehr gewohnt.
    »Es macht Ihnen Spaß, nicht wahr?«, sagte sie mit leiser Stimme. »Das Lesen in diesem alten Buch. Sie hätten gerne damals gelebt.«
    Steven zuckte mit den Schultern. »Zahnziehen ohne Narkose, Schwindsucht und Herdschüren um fünf Uhr früh im Januar, meinen Sie das? Mal ganz abgesehen von der hohen Säuglingssterblichkeit und dem Dreck und dem Rauch in den Städten. Ich weiß nicht, ob das so verlockend ist.« Er zwinkerte Sara zu. »Aber Sie haben recht. Manchmal glaube ich wirklich, ich wäre im 19. Jahrhundert besser aufgehoben. Ein armer Poet, umgeben von vielen Büchern, in einer kleinen Dachwohnung wie in diesem Bild von Spitzweg. Kein schlechter Lebensplan.«
    »Auf alle Fälle ein ziemlich romantischer.«
    Sara sah ihn auf eine merkwürdige Weise an. Sie war auf der Bank jetzt ganz nahe an Steven herangerückt, und ihm wurde seltsamerweise gleichzeitig heiß und kalt. Einmal mehr musste er sich eingestehen, dass seine anfängliche Abneigung gegenüber Sara und ihrer schnoddrigen Art einer eigentümlichen Faszination gewichen war.
    Eine ganze Weile sagte keiner von ihnen etwas, nur das Zwitschern der Vögel in den Bäumen war zu hören. Steven spürte den Buchenstamm an seinem Rücken und stellte sich vor, dass schon Theodor und Maria hier gesessen haben könnten, unter derselben Buche, am selben Platz.
    »Diese Lust auf Bücher«, fragte Sara plötzlich interessiert, »das scheint wohl in der Familie zu liegen?«
    Steven nickte zögerlich. »Mein … mein Vater war ein angesehener Literatur-Dozent in Boston, der sich viel mit der deutschen Romantik beschäftigt hat. Ich war eigentlich immer von Büchern umgeben, vermutlich hat mich meine Mutter sogar auf Büchern gewickelt.« Er lachte, doch es klang leicht gekünstelt. »Sie hat mir als Kind immer deutsche Märchen und Gedichte vorgelesen«, fuhr er schließlich leise fort. »Als ihre Eltern dann starben, sind wir zurück nach Deutschland gezogen, in das Elternhaus meiner Mutter. Da war ich sechs. Wir hatten immer eine große Bibliothek, in den Staaten und auch später in Köln.«
    Sara grinste. »Das einzige Buch, das meine Mutter besaß, war vermutlich eine fleckige Ausgabe von ›100   Drinks zum Selbermixen‹. Vorgelesen hat sie mir daraus nie, das wäre auch ziemlich langweilig gewesen.«
    Diesmal war Stevens Lachen ehrlich. »Langsam verstehe ich, warum Ihnen das Internet so viel bedeutet«, sagte er schließlich. »Es muss wie ein guter allwissender Freund für Sie gewesen sein. Hat Ihr Vater denn wenigstens gelesen?«
    Sara lächelte, doch ihre Augen blieben merkwürdig leer. »Mein Vater … hat uns ziemlich früh verlassen. Ich sehe ihn nur noch gelegentlich. Dann bring ich ihm jedes Mal ein paar Kunst-Bildbände mit.«
    »Ihr Vater interessiert sich für Kunst?«
    »Ja … In der Tat. Manchmal mehr, als ihm guttut.«
    Plötzlich spürte Steven, wie ihm Sara entglitt. Sie schien mit ihren Gedanken unendlich weit entfernt zu sein. Erst nach einer Weile schüttelte sie sich wie nach einer kalten Dusche.
    »Und Ihre Eltern?«, wollte sie plötzlich wissen. Ihre Stimme klang jetzt wieder fröhlich, so als wollte sie ihre eigene düstere Stimmung vertreiben. »Lassen Sie mich raten. Sie besuchen sie jede Woche in ihrem Häuschen am Starnberger See, trinken ein Tässchen Tee und lesen einander dann Sonette von Shakespeare vor. Vermutlich prasselt währenddessen im Wohnzimmer ein munteres Kaminfeuer.«
    Steven zuckte zusammen. Es war, als hätten diese letzten Worte alles Schöne um ihn herum fortgewischt: die schattigen Buchen, die roten und gelben Blätter auf dem Waldboden, Sara neben sich auf der Bank. Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch.
    Das Knistern der Flammen, einzelne Buchseiten, die hell aufleuchten. Dünne graue Schichten von Asche, die zu Staub zerfallen. Die Schreie aus der Bibliothek, während der Feuerwehrmann den brüllenden, zappelnden Jungen aus seinem Versteck trägt, hin zu den blinkenden Lichtern, hinaus auf die von Gaffern wimmelnde Straße. Die hasserfüllten Augen des blonden Mädchens, der Ruß auf ihren Zöpfen, das am Saum angekokelte Kleid …
    »Mein Gott, was ist mit Ihnen?«, fragte Sara und sah ihn bestürzt an. »Sie sind ja kalkweiß. Habe ich irgendetwas Falsches gesagt?«
    »Es … es ist nichts«, murmelte Steven. »Oder

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