Die Lüge im Bett
aufgelistet. Gut gelaunt läuft Nina zum nächsten Postamt und eröffnet ein Postfach. Jetzt fehlt nur noch das Foto.
Das serviert ihr Gabriel am Abend. Mit Verschwörermiene drückt er ihr in der Diele ein Schwarzweißfoto in die Hand. Es zeigt ihn stehend in einem dunklen Anzug, sehr elegant, allerdings mit nichts als seiner Haut unter dem geöffneten Jackett. Wenn das den prüden Amis mal nicht zu frivol ist. Aber sie lächelt Gabriel an. Sie kann froh sein, daß die »Überraschung für Nic« nicht herzhafter ausgefallen ist.
Am selben Abend läuft Nina los und gibt zwanzig Bild- vom-Bild-Abzüge in Auftrag. Dann sucht sie sich mit ihrem Laptop einen sicheren Platz, das Badezimmer bei laufendem Wasser erscheint ihr am geeignetsten, und schreibt einen englischen Brief. Während sie nach Formulierungen sucht, beschleichen sie Befürchtungen, daß ihre Aktion möglicherweise etwas naiv sein könnte. Wahrscheinlich stellt sich kein einziger Schauspieler in Amerika mehr direkt bei einer Produktionsfirma vor. Sicher läuft alles über Agenturen. Das wäre dann ihr zweiter Schritt.
Sie beschreibt Gabriels schauspielerischen Lebenslauf, dichtet einiges hinzu, läßt manches weg, zum Beispiel Nic, und unterschreibt in Gabriels Namen. Im Bademantel schleicht sie schließlich hinaus und druckt ihren Brief auf Nics Drucker mit den verschiedenen Adressaten zwanzigmal aus. Jetzt noch die Fotos, dann soll das Schicksal zuschlagen! Sich selbst setzt sie als Absender ein, Gabriels Agentin sozusagen.
Aufgeregt läuft sie fast drei Wochen lang zu ihrem Postfach. Nichts. Langsam, sagt sie sich, so schnell kann es nicht gehen.
Dann kommt die erste Absage. Ein Formbrief. Gut, wenigstens rollt die Geschichte jetzt an. Nina kauft sich einen Aktenordner, um alles säuberlich abzulegen. Damit läuft sie in den fünften Stock, ohne einmal ernsthaft außer Atem zu geraten. Sie freut sich gerade über ihre zunehmende Treppenkondition, da fällt ihr an ihrer Jugendstiltür etwas in Auge. Ein großer Zettel hängt da. Sieht aus wie einer dieser Erpresserbriefe aus dem Fernsehen. Nina liest die aufgeklebten großen Druckbuchstaben: »Eine Frau mit zwei Männern ist unsittlich! Raus mit der Nutte! Gezeichnet: die Hausbewohner.« Sie muß es zweimal lesen, um den Sinn der Botschaft zu verstehen. Dann hätte sie am liebsten laut losgelacht, denn es ist wirklich zu blöd, was da steht. Andererseits weiß sie nicht, wie Nic reagieren wird. Sie sollte ja nur übergangsweise bei den beiden wohnen. Ob eine Hausbewohnerrevolte ein Kündigungsgrund für ihn ist?
Gabriel kommt wenig später ebenfalls nach Hause, Nic führt noch in den Bavaria-Studios Regie. Zu zweit rätseln sie, wer es gewesen sein könnte. Nina kennt die Leute im Haus zuwenig, und auch Gabriel weiß nicht, welche Gesichter zu welchen Namen gehören. »Wenn sie hier schon so moralisch tun, warum wollen sie dann dich wegjagen und nicht einen von uns? Das wäre doch moralisch sauber!«
O ja, o ja, denkt Nina. Kommen ihr die Hausbewohner ungeahnterweise zu Hilfe? Muß sie sich nach Gabriels Auszug bei jedem einzelnen durch Handschlag bedanken? Danke, daß Sie mir Nic geschenkt haben. Danke, danke, danke! Kann sie ihre Amerikaaktion wieder stoppen?
»Aber warten wir mal ab, was noch passiert«, sagt Gabriel und tätschelt seinen Bauch. »Wollen wir zusammen kochen?«
»Ich koche jetzt schon!«
Er lacht. »Nun gut, dann eben Wurst und Brot.«
Sie richten sich gemeinsam eine Wurst-Käse-Platte, nehmen sich ein kühles Bier aus dem Kühlschrank und machen einen Fernsehabend. Aber irgendwann fesselt sie der Film nicht mehr.
Plötzlich will Gabriel von Nina wissen, was sie von Männern hält. Nina überlegt, denn so einfach läßt sich das nicht beantworten. Gabriel ist da direkter. Er empfindet die meisten seiner Geschlechtsgenossen als abartig. Das verblüfft Nina, und so verstricken sie sich in eine Diskussion, die, nur durch die Tagesthemen unterbrochen und zugleich frisch angeheizt, fast bis Mitternacht dauert. Als Nic plötzlich müde in der Tür steht und sich sogleich ins Bett verabschiedet, stellt Nina fest, daß sie ungewollt in die Rolle der Anwältin der Männer geraten ist. Gabriel hat vom primitiven Stammtischwitz über Vergewaltigung bis hin zur Kinderpornographie alles aufgeführt, was er seinem Geschlecht anlasten kann. Nina hat Gegenbeispiele aufgeführt, bei denen Männer gut abschneiden. Mahatma Gandhi gibt sie an. Oder den Atomphysiker Joseph Rotblat, der 1995 den
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