Die Lüge im Bett
seiner Oma.« Sie schaut ihn an, er hebt den Blick nicht vom Tisch. »Es gab ja auch einmal gute Zeiten!« Sie holt tief Luft. »Tim hat mich gestern im Geschäft angerufen, ich sollte ihm eine Cola mitbringen. Ich sagte, schade, eben war die junge Nachbarin von oben da. Der hätte ich das ja mitgeben können. Und als die Polizei gestern da war, fiel mir das plötzlich wieder ein. Er wußte, daß Sie kommen würden, er brauchte Sie nur noch abzupassen!«
»Jetzt sag mir doch einmal, warum!« fährt Nina ihn an. Wie kann er so verstockt am Tisch sitzen. Schließlich geht es um ihn! »Du hättest mich umbringen können!«
Er zuckt die Achseln.
»So werden ganze Asylantenheime niedergebrannt. Mit einem Achselzucken«, sagt Gabriel und verzieht das Gesicht.
Jetzt schaut er doch auf. »Ich wollte dich nicht umbringen. Ich wollte dich nur erschrecken. Mit dem Brief und den Reifen auch. Es hat mir Spaß gemacht!«
Nina ist sprachlos.
»Du meinst, just for fun?« fragt sie schließlich.
Er zuckt die Achseln.
»Ich wollte eigentlich, daß er sich bei Ihnen entschuldigt, bevor Sie es der Polizei melden!« Seine Tante hat einen resignierten Ausdruck in den Augen. »Und die Rechnung über die zerstochenen Reifen geben Sie bitte mir. Ich begleiche das natürlich!«
Manche Menschen trifft es hart, denkt Nina. Sie kommen auf die Welt, arbeiten für sich, arbeiten für andere, tragen ihre eigene Bürde und die anderer und sterben dann irgendwann. Wozu das Ganze?
»Im Knast wirst du auch nicht schlauer«, sagt Nina zu ihm. »Du solltest verstehen, was du da anrichtest. Du solltest verstehen, daß man anderen keinen Schmerz zufügt. Weder seelisch mit Schmierbriefen noch körperlich mit Baseballschlägern. Du solltest deine kriminelle Energie umsetzen und deiner Mutter, deiner Tante und deiner Oma helfen!«
»Meine Mutter erkennt mich nicht mehr.«
»Das ist nicht ihre Schuld. Dafür kann sie nichts. Aber vielleicht spürt sie Liebe, vielleicht bemerkt sie es, wenn du ihre Hand hältst. Es macht viel mehr Spaß, anderen zu helfen, als sie zu vernichten.«
Gabriel schaut sie an, Tim zuckt nur mit den Achseln.
»Gehst du noch zur Schule? Arbeitest du?«
Die Tante seufzt. »Er hat die Schule abgebrochen. Und deshalb findet er natürlich auch keine Arbeit.«
»Nun gut!« Nina steht auf.
Gerda Windmüller betrachtet es als Zeichen, ebenfalls aufzustehen. »Es tut mir sehr leid!« sagt sie.
»Ihnen braucht es nicht leid zu tun«, entgegnet Nina. Sie blickt zu Tim. »Ihm müßte es leid tun!«
Tim schaut an ihr vorbei, als er ebenfalls aufsteht. In seinem schwarzen, großen T-Shirt wirkt er wie ein verlorengegangenes Kind.
An der Tür fragt Gerda Windmüller, was sie nun tun werde.
»Ich weiß es nicht«, antwortet Nina wahrheitsgemäß. »Aber irgend etwas werde ich schon tun!«
Tim geht schnell an ihr vorbei hinaus. Nina glaubt, ein leises »Sorry!« zu vernehmen, ist sich aber nicht sicher. Dann geht sie wieder hinein zu den anderen.
»Das ist vielleicht ein Typ«, sagt Gabriel, »da kann es einem ja angst werden. So was von emotionslos ist mir überhaupt noch nie begegnet!«
»Cool, Gabriel, cool!« mahnt ihn Nic.
Nina holt die Flasche. »Na, ich lebe noch, und außerdem gibt's was zu feiern!«
Nic öffnet die Flasche, schenkt die Gläser voll, verteilt sie und schaut dann Nina gespannt an. »Na? Hast du einen neuen Job?«
Nina grinst über das ganze Gesicht. Sie hebt das Glas, um anzustoßen. »Ich nicht, aber ...« Das »Aber« läßt sie in der Luft hängen, bis alle getrunken haben, dann prostet sie Gabriel zu:
»Du!«
»Ich?« Überrascht schaut er sie an. »Ich? Warum denn?«
»Hokuspokus!« Nina zieht den Brief heraus und liest ihn laut vor.
Gabriel und Nic schauen sich an.
»Ist das ein Witz?« Nic verzieht mißtrauisch das Gesicht.
»Los Angeles?« Gabriel mustert sie mit schrägem Blick.
»Du bist zum Casting eingeladen«, Nina zuckt die Achseln, »ist das so etwas Besonderes? Es geht um einen Spielfilm, einen Kinofilm. Auch nicht besonders aufregend. Neben Tom Cruise. Wer ist schon Tom Cruise, ich bitte dich!«
Gabriel bleibt der Mund offenstehen.
Nic sagt zunächst nichts, dann streckt er den Arm aus. »Gib mal her!«
»Bitte!« Nina reicht ihm den Brief.
Nic liest leise, Gabriel wartet atemlos.
»Kein Witz!« sagt Nic dann schließlich. »Es ist kein Witz! Tatsächlich! Eine kleine Rolle, okay, aber immerhin in einem Film mit Tom Cruise. Wer führt Regie?«
Nina lacht, Gabriel reißt
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