Die Lüge im Bett
in Brasilien sind, bekommt sein Mund einen schelmischen Ausdruck, und seine Augen werden schmal.
»Ein paar Stockwerke tiefer hast du jede Menge Abwechslung«, Nina verschränkt die Arme und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: »Später!«
»Oh, Frau Kommissarin! Stets auf der Pirsch!«
»Sie doch auch, Herr Jäger. Sie haben ja fast schon Stielaugen vom Pirschen!«
»Oh, siehst du das so genau? Vom Fußende aus? Komm doch mal näher!«
Nina rührt sich keinen Zentimeter. »Was hast du denn für große Augen? Was hast du nur für einen großen Mund?«
»Schon gut, schon gut!« Seufzend steht Leo auf. »Wer geht mit?«
»Bisher nur du und ich!«
»Ein reizendes Pärchen!«
Sie treiben noch Tom auf, aber Herbert und Gerd sind schon wieder unterwegs.
»Die sind einfach gescheiter als wir«, schüttelt Tom den Kopf.
»Komm, du hast deinen Mittagsschlaf doch schon gehabt«, zwinkert Nina ihm zu. »Und hast gut Farbe gekriegt!«
»Hmmm?« mustert Tom sie fragend.
»Nichts«, sagt Nina und hält den Männern die Tür auf.
»Vielleicht sollten wir da ... ?« sagt Leo verschwörerisch zu Tom und deutet mit dem Daumen zur Kneipe.
Nina hält ihn am T-Shirt fest. »Nachher, nachher!«
»Warum nur erinnert mich ihr Ton immer an den einer Krankenschwester?« überlegt Leo laut.
»Wahrscheinlich hat sie die Zwangsjacken für Härtefälle oben in ihrem Zimmer liegen.«
»Ehrlich?« Leo reißt die Augen auf, schaut sie groß an.
»Fesseln? Da stehst du drauf?«
»Noch nicht«, Nina winkt einem Taxi. »Aber wenn ihr nicht bald die rechte Arbeitsmoral zeigt, ziehe ich meine Peitsche aus dem Stiefel!«
Tanja Tavares entpuppt sich als echter Geheimtip. Sie arbeitet seit Jahren in den Favelas, kennt viele der Straßenkinder mit Namen. Sie lebt in einem großen, alten Haus am Rande der Stadt, »nahe den Bretterverschlägen, die die Stadtverwaltung bei großen Ereignissen oder Staatsbesuchen am liebsten plattwalzen würde«, erzählt sie bitter, während sie den dreien das Haus zeigt.
Nina kann sich gut vorstellen, wie Kinder die vielen großen Räume bevölkern, abends hungrig an dem meterlangen Tisch zusammenkommen und auf den nackten Fußböden schlafen.
Sie steht in Senhora Tavares' Küche, die aus zusammengewürfelten Möbeln und Utensilien besteht. Hier schert sich keiner um Markennamen, um italienisches Design, um diesen ganzen Firlefanz, der bei uns zum eigentlichen Lebensinhalt geworden zu sein scheint, denkt sie und spürt fast so etwas wie Scham in sich aufsteigen. Über sich selbst, die Gedankenlosigkeit, die Arroganz, nicht zuletzt über die Schramme in Svens Waschbecken. Wie anders ist ihre Welt, wenn so eine Lappalie so viel zählt!
»Ich beneide sie«, sagt sie spontan zu der Frau, die sie auf fünfundvierzig schätzt und die ein schlichtes langes Baumwollkleid trägt, darin aber wie eine Dame wirkt.
»Das meinen Sie nicht ernst!« Tanja Tavares wirft ihr aus den großen, dunklen Augen einen amüsierten Blick zu.
»Doch! Ich beneide Sie um ihre Einstellung, um das, was Sie tun. Es ist sinnvoll, es erfüllt Sie mit der Gewißheit, Ihre Kraft für ein sinnvolles Ziel einzusetzen. Und das Ziel heißt Menschlichkeit.«
Tanja Tavares bietet ihnen Platz an und holt Kaffee, den sie aus einer Blechkanne einschenkt.
»Sie machen einen Film über uns. Auch das ist sinnvoll. Auch das hilft uns.«
Nina ist verlegen, und sie spürt, daß auch Leo und Tom sich in ihrer Haut nicht wohl fühlen. Beide fummeln wie auf Verabredung an Kamera und Tongerät herum.
»Können wir mal durchs Haus?« fragt Leo und zeigt auf die Kamera. »Viel Licht haben wir nicht dabei, aber für eine solche Reportage wäre es genau das Richtige!« Er zeigt auf das Interviewlicht, das sie schon bei den Straßenkindern eingesetzt haben.
Als sie zwei Stunden später und nach langen Geschichten über die Straßenkinder Rios wieder zurück sind, sind alle drei sehr nachdenklich. Sie haben sich in die Hotelbar gesetzt und trinken Caipirinha. Senhora Tavares hat aus dem Leben »ihrer« Kinder vor laufender Kamera erzählt.
Leo stochert gedankenverloren in seinem zerstoßenen Eis herum: »Du hast recht, Nina! Rio ist nicht nur Sonne und nackte Ärsche. Das ist nur Kulisse, wie in einem drittklassigen Theater.«
Nina saugt an ihrem zerbissenen Strohhalm. »Aber ich glaube, am Strand sind sie alle gleich. Da gibt es keinen Unterschied zwischen arm und reich. Im Gegenteil. Der Wohlstand, das große Fressen macht unansehnlich, fett
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