Die Lüge im Bett
Schlange und fährt mit dem nächsten Bus, schwarz; für die Fahrkarte hat sie kein Geld mehr.
Endlich der 23.! Nina schaut auf ihren Wecker. Acht Uhr. Wie schön, sie kann noch eine Runde schlafen. Sie dreht sich auf die Seite und schließt die Augen. Vergebens. Sie ist viel zu aufgeregt. Morgen ist der Tag! Es ist wie früher, als sie noch Kind war. Da zählte sie auch die Tage: noch dreimal schlafen, noch zweimal, noch einmal . und dann stand sie schon morgens um sechs Uhr bei ihren Eltern im Schlafzimmer.
Sie ist so früh dran, daß sie sogar noch bequem in den Sender fahren könnte. Die feiern dort heute auch Weihnachten, und Elke und Sabrina waren ganz enttäuscht, daß Nina nicht dabeisein wollte. Aber sie will den heutigen Morgen zelebrieren. Mit einem gemütlichen Frühstück bei Kerzenlicht, Weihnachtsmusik und der Gewißheit, daß es der letzte Tag ohne Nic sein wird. Abschied vom Singledasein, sozusagen. Morgen fängt das Leben erst an!
Sie schließt ihre Zimmertür hinter sich und geht die wenigen Stufen hinunter in den Flur. Eine Tür führt in den Stall, die andere direkt hinaus ins Freie. Nina beschließt, durch den Stall zu gehen. Sie öffnet die massive Holztür und bleibt dann schnüffelnd stehen. Wie man sich an einen solchen Geruch gewöhnen kann. Hatte sie früher ausschließlich und einfallslos Pferdeäpfel damit verbunden, so sieht sie jetzt statt dessen große Pferdeaugen vor sich, glaubt den warmen Atem aus weichen Nüstern zu fühlen und seidiges, dichtes Fell zu spüren. Irgendwann einmal will sie reiten lernen. An Nics Seite. Wenn sie wieder Geld für so etwas hat. Sie geht langsam durch die Stallgasse, sieht nach rechts und links zu den Tieren. Sie kann Birgit immer besser verstehen. Vor allem seit ihrem gemeinsamen Abend.
Birgit hat aus ihrem Leben erzählt. Nina war es recht, so mußte sie sich nicht über Sven auslassen. Und vor allem nicht über Nic! Im Laufe des Abends kamen ihr ihre eigenen Geschichten gegen das, was Birgit zu erzählen hatte, allerdings auch ziemlich fad vor. Birgit war tatsächlich wegen eines Mannes nach Köln gekommen und hatte ihr früheres Leben inklusive des Vaters ihres Sohnes aufgegeben. Dazu ihren sicheren Job. In den ersten Wochen glaubte sie auf einer Wolke zu schweben. Ihr neuer Partner war Anwalt. Er hatte ein sicheres Auftreten, sah männlich markant aus, war interessant, intelligent, belesen. Er forderte sie auf, ihm ihre gesamten Einkünfte, Sparguthaben, Aktien und alle Wertgegenstände aufzulisten, damit er eine genaue Basis für die gemeinsame Zukunft errechnen könnte. Birgit dachte sich noch nichts dabei. Sie solle ihm das Geld geben, er würde in kurzer Zeit mehr daraus machen.
Eigentlich brachte ihr Bankberater sie darauf, erklärte sie Nina beim Dessert und schüttelte den Kopf über sich selbst. Liebe macht eben blind, fügte sie hinzu. Aber Nina wollte es genau wissen. Und Birgit erzählte weiter. Irgendwann bin ich durch unseren Kontostand aufmerksam geworden und bin ihm gefolgt. Anstatt in seine Kanzlei zufahren, fuhr er ins Spielkasino. Dort habe ich ihn heimlich beobachtet. Ein manischer Spieler. Am selben Abend stand ich mit meinen Umzugskisten im Flur und wußte nicht, wohin, erklärte Birgit. Dann lachte sie schallend.
»Und darüber kannst du lachen?«
»Ich lache über den gleichen Weg!«
Und da ging Nina ein Licht auf. Birgit hatte also auch schon in der Pension gewohnt.
»Nur gut, daß du wenigstens etwas Geld noch hast«, sagte sie zu Birgit.
»Und meinen Sohn. Er half mir, aus diesem Tief herauszukommen.«
Nina weiß noch, wie sie bei der Heimfahrt über diese Worte nachgedacht hatte. Im Ernstfall hat sie niemanden. Und in Birgits Alter kann einem ein Sohn auch nur dann helfen, wenn man ihn irgendwann zuvor einmal bekommen hat.
Aber was hatte die Wahrsagerin in Rio gesagt? Zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Sie brauchte sich also keine Gedanken zu machen. Sie brauchte nur ein wenig Zeit. So ungefähr neun Monate ...
Ilse Wessel ist erstaunt, als Nina bereits um zwei Uhr klingelt.
»So früh? Hast du denn keinen Schlüssel?«
»Ich wollte nicht einfach hereinplatzen!«
Im Haus duftet es nach Plätzchen. Nina geht direkt zum Backofen und versucht durch die angelaufene Glasscheibe etwas zu erkennen. »Oh, machst du etwa Spitzbuben?« Begeistert dreht sie sich nach ihrer Mutter um.
Es steht aber ihr Vater hinter ihr. »Wir dachten, das paßt zu einer Tochter, die selbst Christi Geburt kurzerhand
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