Die Lüge im Bett
vorverlegt. Wenn wir das jemals mit deinem Geburtstag gemacht hätten .«
»Vati! Der kriegt's doch überhaupt nicht mit! Und ein Fest der Liebe feiere ich morgen auch! Das ist doch der Sinn der Sache, sagt zumindest die Kirche!«
»Irgendwie habe ich den leisen Verdacht, daß die Kirche damit etwas anderes meint!« Rudi Wessel beugt sich zu Nina hinunter. »Grüß dich, Tochter!« Er küßt sie auf die Wange.
»Wagen schon geputzt?«
»Jetzt werd bloß nicht frech, Nina Sybille!«
Nina grinst. Ihr Zweitname war in ihrer Schulzeit immer das Zeichen für sie, besser klein beizugeben.
Wie schön, erwachsen zu sein.
Zu zweit gehen sie ins Wohnzimmer. Der Tannenbaum steht allerdings noch ungeschmückt. Ihr Vater hat, wie all die Jahre, an die sich Nina zurückerinnern kann, die Anordnung der Zweige korrigiert. Mit Säge, Bohrer und Leim hat er dem Bäumchen einen gleichmäßigen Wuchs aufgezwungen. Lug und Trug wie beim Schönheitschirurgen.
»Sieht toll aus«, nickt Nina anerkennend, denn sie weiß, daß ihr Vater darauf wartet.
Nina grinst. Als ob sie das nicht wüßte ...
»Darf ich ihn schmücken?« fragt sie ihre Mutter.
Ilse Wessel nickt. »Laß uns aber erst einen Kaffee trinken. Dann gehen wir Weihnachten an!«
»Dann gehen wir was??« Sie schaut ihre Mutter groß an, die vor dem Büfett in die Knie geht, um das gute Kaffeeservice herauszuholen.
Rudi Wessel setzt sich. Nina betrachtet ihren Vater. Er hat sich überhaupt nicht verändert. Das kommt wahrscheinlich daher, daß er früher schon wenig Haare hatte. Jetzt hat er nur noch einen Haarkranz, aber das Gesicht ist glatt wie eh und je und sieht rosig wie das eines Kindes aus. Er ist nur etwas fülliger geworden. Das ist meine Altersfigur, und Ilse liebt mich so! sagt er immer.
Jetzt steht er auf und holt einen Zeitungsausschnitt, den er Nina vor die Nase legt. »Mutti hat neuen Umgang, also auch ein neues Vokabular. Von euch kriegt sie ja nichts mehr mit!«
Nina schaut verständnislos auf den Ausschnitt.
»Was ist denn das jetzt?«
Ihre Mutter stellt ihr eine ihrer Sonntagskaffeetassen vor die Nase: »Das sind die drei Damen, die kürzlich zum Abendessen da waren, erinnerst du dich? Ich hatte dich auch eingeladen!«
»Mutti! Alte Leute! Das bringt dir doch nichts! Junge Leute mußt du um dich haben! Das hält jung! Alte machen alt!«
»Danke«, sagt ihr Vater und legt den Kopf schief: »Hört, hört! Dann sitzen wir hier wohl falsch, was dich angeht. Denn wir sind alt. Auf der anderen Seite sitzen wir richtig, was uns angeht. Denn du bist jung. Also was jetzt?«
Nina seufzt und greift nach dem Artikel. Daß einen Eltern aber auch nie verstehen wollen. »Mir geht's doch nur um euch!« sagt sie.
»Dann komm halt öfter«, antwortet ihr Vater.
»He!« Überrascht schaut Nina auf. »Was ist denn das?« Ihre Mutter trägt eben ein Körbchen voller Weihnachtsgebäck herein und stellt es einladend mitten auf den Tisch.
»Spritzgebäck«, antwortet sie, »und Spitzbuben, Bärentatzen und Springerle, die du so magst!«
»Nein, nein, das hier, das!« Mit spitzem Finger tippt Nina aufgeregt auf ein leicht undeutliches Zeitungsfoto. »Die kenne ich! Die kenne ich doch!«
»Du kennst doch alle, sagst du immer. Das ist doch nichts Neues«, ihr Vater zuckt gleichmütig mit den Schultern. An seinen Augen erkennt Nina, daß er sie nur foppen will.
»Mutti, Vati ist wieder unmöglich heute. Sag's du mir!«
»Gleich. Ich hole nur noch schnell den Kaffee!«
Gleich, gleich! Dieses Wort hat sie schon in ihrer Kindheit gehaßt. Spielst du mit mir? Gleich! Liest du mir was vor? Gleich! Wann darf ich raus? Gleich!
Was war gleich, wann war gleich, wie lange war gleich? Keiner gab ihr je eine Antwort darauf.
Nur wenn sie ins Bett sollte, da war gleich definiert. In diesem Fall hieß es sofort!
»Bekomme ich jetzt eine Antwort oder nicht?!«
Ihre Mutter balanciert ein Tablett mit Kaffeekanne, Zuckerdose und Sahnekännchen herein. »Das sind die drei alten Damen, von denen ich dir erzählt habe. Du brauchst ja nur den Text zu lesen, steht alles drin!«
Ach ja! Nina liest quer.
»Die eine kenne ich. Da bin ich sicher. Ich weiß nur nicht, woher! Das Foto ist so undeutlich!«
Ihre Mutter schenkt vorsichtig ein. »Wie gesagt, sie waren zum Abendessen hier. Es war ein wundervoller Abend. Du wolltest nicht kommen, erinnerst du dich?«
»Ja, doch, schon. Deshalb kann ich sie auch nicht kennen. Ich war schließlich nicht da!«
Ihr Vater zwinkert mit den
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