Die Lüge im Bett
bezahlen kann, hat sie besorgt gemeint. Nina hat erst gar nicht versucht, ihrer Mutter zu erklären, daß es bei einer Silvestergala kein Extraessen zu bezahlen gibt, sie hat sich bedankt und den Blauen genommen. Sie kann ihn auch so gut gebrauchen. Aber das Bewußtsein, um hundert Mark reicher geworden zu sein, hilft ihr jetzt auch nicht.
Nina friert, tritt von einem Bein aufs andere und fühlt sich wie bestellt und nicht abgeholt, denn viele Leute, festlich gekleidet und ohne Reisetasche, defilieren an ihr vorüber, alle wichtig, wichtig, wichtig. Nur sie wartet in der Kälte auf einen Mann, der ihre Eintrittskarte in die exklusive Welt hat und ihr das Hotelzimmer zahlen wird.
Sie ist sich sicher, daß man ihr das ansieht. Nina Wessel wartet vor dem Hoteleingang auf den großen Gönner. Was sie für das Zimmer bezahlen muß, ist im Leistungskodex aller Mätressen, Kurtisanen und ausgehaltenen Geliebten dieser Welt nachzulesen: Zahlst du mir mein Abendessen, werd ich deinen Stengel fressen. Lädst du mich zum Schlafen ein, quetsch ich deinen Stengel rein.
Nina fühlt sich von ihren eigenen Gedanken belästigt und beschließt, an etwas anderes zu denken. Sie ist nicht die hübsche Kleine, die auf den reichen alten Sack wartet, sondern sie ist die Starreporterin Nina Wessel, die es nicht gewohnt ist, ihr Gepäck selbst in ihre Luxussuite zu tragen, und deshalb auf ihren Sekretär wartet. Das gefällt ihr besser, und sie verharrt ein bißchen in ihrer Phantasie, bis ihr jemand einen Kuß auf die Wange gibt.
Sie erschrickt, denn sie hat Nic gar nicht kommen sehen.
»Du strahlst ja förmlich, was gibt es denn so Lustiges?«
»Oh, schön, daß du da bist! Ich habe mich ein bißchen amüsiert!«
»Ich dachte schon, du seist vielleicht ärgerlich, weil ich zu spät komme. Das Taxi steckte im Stau, und ich konnte dich leider nicht erreichen, weil du kein Handy hast!«
Handy! Klar, eine Starreporterin braucht auch ein Handy! Aber sie brauchte für das Handy besagten alten Sack. Also besser kein Handy!
Nina geht an seiner Seite hinein und fühlt sich glänzend. Nic ist ein Bild von einem Mann, neben ihm wird sie zu Grace Kelly, und so, wie sie jetzt erhaben durch das Foyer schreitet, stellt sie sich in etwa den Einzug der jungen Schauspielerin 1956 ins Fürstentum Monaco vor.
Nic regelt die Formalitäten an der Rezeption und bekommt danach die Zimmerkarte ausgehändigt. Nina steht abwartend neben ihm, und ein Gedanke verdrängt die Nonchalance einer Grace Kelly: Hätte sie ihren Anteil korrekterweise selbst bezahlen müssen? Aber Nic erledigt alles so rasch und selbstverständlich, daß es nicht so aussieht, als ob er darauf warten würde.
»Komm«, sagt er und nimmt sie leicht am Arm.
Nina fährt mit Nic im gläsernen Aufzug nach oben, geht neben ihm einen langen Gang entlang, und das Verlangen nach ihm bringt sie fast um, schnürt ihr die Luft ab. Jetzt gleich ins Bett stürzen, sich liebestrunken in der Badewanne wälzen, unter dem kräftigen Wasserstrahl in der Dusche lieben, das neue Jahr mit dem heißesten Orgasmus ihres Lebens begrüßen, o Lust, o Freude, keine Sekunde würde sie das Tamtam da unten vermissen, sie würde drei Tage und Nächte Nic spüren wollen, als Auftakt für weitere unendliche Tage und Nächte.
Nic bleibt stehen, zieht die Zimmerkarte heraus. Sie starrt auf seinen Nacken. Wie oft hat sie sich schon im Schneideraum beherrschen müssen. Nur einmal die Hand in seinen ausrasierten Nacken legen, ihn mit dem Mund liebkosen, die kleinen nachwachsenden Härchen an ihren Lippen fühlen.
Sie holt tief Luft. Wenn sie so etwas nur ein einziges Mal bei Sven gespürt hätte. Aber nein, hier bei Nic treibt die Sehnsucht nach seinem Körper sie um, quält sie, verhöhnt sie.
Er zieht seine Zimmerkarte durch den Magnetstreifenleser, und plötzlich fährt ihr der Schreck in die Glieder: Was, wenn er ein Zimmer mit zwei getrennten Betten bestellt hat? Mit einem unüberwindlichen Nachttischchen zwischen ihm und ihr?
Er öffnet, nimmt das Gepäck und geht voraus. Nina folgt langsam, hält die Luft an und kneift die Augen bis auf einen schmalen Schlitz zusammen.
»So!« sagt er. Nina reißt die Augen auf. Ein King-size- Bett! Gott sei Dank! Da kann er ihr, der Wärme ihres Körpers, der Weichheit ihrer Haut nicht entkommen!
»Gehen wir gleich runter?« Nic hängt seinen Kleidersack schnell auf, deponiert sein Necessaire im Badezimmer. Nina muß dringend auf die Toilette, aber sie traut sich nicht, hier
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