Die Lüge
Arbeitszimmers hinter sich zu. Der Laptop auf dem Schreibtisch war nun mit einem Netzteil verbunden. Wo Michael das aufgetrieben hatte, war ihr ein Rätsel, in der Computertasche war es nicht gewesen.
Zuerst kümmerte sie sich nicht um den kleinen Computer, die Ausdrucke auf dem Schreibtisch und der Anruf im Seniorenwohnheim waren wichtiger. Ihre Mutter war nicht halb so aufgeregt, wie zu erwarten gewesen wäre. Es stellte sich rasch heraus, dass sie gar nicht mit ihr gerechnet hatte. Johannes Herzog hatte eine Karambolage mit seinem BMW gehabt und hätte sie deshalb gar nicht abholen können. Ihre Mutter freute sich, dass sie nicht umsonst auf ihn gewartet hatte, weil sie mit ihrer Freundin einen Ausflug machte.
«Wo bist du denn, Susanne?»
Was sie sich mittags zurechtgelegt hatte, akzeptierte Agnes Runge mit der Begeisterungsfähigkeit einer Mutter, die glücklich ist, wenn ihr einziges Kind sein Leben genießt. Sie sorgte sich nur ein wenig, dass vor ihrer Tochter nun eine lange Heimfahrt auf einem Motorrad lag. «Bestell deiner Freundin einen schönen Gruß von mir. Dass sie nur vorsichtig fährt. Es könnte glatt werden.»
«Wir passen auf», sagte sie. «Mach dir keine Sorgen, Mutti.»
Dann saß sie da, betrachtete den Laptop und das Netzteil. Nadia musste es irgendwo im Haus versteckt haben, vielleicht im Ankleidezimmer. Und den Laptop mit leerem Akku in Hardenbergs Büro deponiert. Sekunden später hatte sie das Gerät gestartet. Mit einem Passwort gesichert war es nicht. Eslud automatisch und sehr schnell – leider ein anderes Betriebsprogramm als das, mit dem der große Rechner arbeitete.
Eine Dateiverwaltung fand sie nicht, wie sie sonst an irgendwelche Dateien kommen sollte, wusste sie nicht. Schließlich griff sie erneut zum Telefon, probierte es noch einmal mit Nadias Handynummer und hörte: «Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.»
Vorübergehend, dachte sie. Abwarten! Noch eine Nacht. Es war nicht einmal neun, aber sie war müde, ging hinunter in die Diele und verriegelte das Haus. Nur die Rollläden konnte sie nicht herunterlassen. Im Ankleidezimmer hing Michaels Hose zwischen anderen auf einem Bügel. Das Kunstledermäppchen mit ihrem Wohnungsschlüssel steckte noch in der Hosentasche. Sie schob es in einen Pulloverstapel. Im Bad stand der kleine Wecker im Bodenregal. Es war schon ein vertrauter Anblick.
Kurz darauf lag sie im Bett. Die letzten bewussten Gedanken gingen nahtlos in einen Albtraum über. Sie saß vor einem Stück Obsttorte in Schrags Büro. Röhrler kam herein. Nicht so, wie sie ihn im Januar gesehen hatte. Er war völlig zerquetscht, hatte nichts Menschliches mehr an sich, trat dicht an ihren Schreibtisch heran und nuschelte: «So ist das, wenn man in die Kasse greift und sich erwischen lässt.» Sein Blut tropfte auf einen dicken Umschlag und die Torte. Und sie schämte sich so entsetzlich für ihren Heißhunger. «Es waren Fehlbuchungen!», schrie sie.
«So kann man das auch nennen», sagte Röhrler mit Michaels Stimme und legte ihr eine blutige Hand auf die Schulter.
«Lassen Sie mich los!», schrie sie. «Ich wollte nicht, dass Sie sterben. Ich hatte doch keine Ahnung, dass dieses verlogene Aas Sie kannte.»
Röhrler legte beide Hände um ihre Oberarme, schüttelte sie und verlangte: «Wach auf.»
Sie konnte nicht aufwachen. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen seinen harten Griff. Erst als er ihr ins Gesicht schlug, fand der Horror ein Ende. Sie blinzelte in Michaels aufgewühlte Miene. «Bist du wach?», fragte er.
«Ja», murmelte sie, richtete sich auf und stieg aus dem Bett.
«Wo willst du hin?»
«Weg», sagte sie und ging ins Bad. Er folgte ihr, blieb bei der Tür stehen, schaute zu, wie sie Wasser in die hohle Hand laufen ließ und ein paar Schlückchen trank.
«Soll ich dir was zu trinken holen?», bot er an.
Sie schüttelte den gebeugten Kopf. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen. Dann fragte er erneut: «Wer ist Susanne Lasko?»
Sie war nahe daran, es ihm zu sagen. Aber wenn er sie dann hinauswarf und Nadia nicht zurückkam? «Weiß ich nicht», murmelte sie mit dem Gesicht über dem Waschbecken.
«Ist Dieter Lasko der Kunde, der dich bedroht hat?»
«Nein.»
Er glaubte ihr nicht. «Vielleicht kannst du dich mit dem Mann einigen», schlug er vor. «Wenn du das Haus verkaufst.»
Sie richtete sich auf und lachte hysterisch. «Das wäre eine Möglichkeit. Ich verkaufe das Haus und suche mir eine schicke kleine Wohnung mit
Weitere Kostenlose Bücher