Die Lüge
Diele beschäftigte. Warum hatte Nadia nicht mal erwähnt, dass eine Fremde ins Haus kam, um zu bügeln und die Fenster zu putzen?
«Pascal!», brüllte die Frau im Keller. «Verdammt nochmal, lass das, du versaust die ganze Wäsche.»
Es drängte sie keinesfalls nach einer längeren Unterhaltung mit einer Person, deren Namen sie nicht kannte und von der sie nicht wusste, wie sie bezahlt wurde. Aber das konnte sie sich nicht anhören. Sie ging wieder hinunter und verlangte: «Schreien Sie das arme Kind nicht an! Was kaufen Sie ihm auch so ein scheußliches Ding? Geben Sie es her.»
Die Frau händigte ihr tatsächlich die Wasserpistole aus und fragte: «Müssen Sie heute nicht weg?»
«Das weiß ich noch nicht.»
«Und was ist morgen?»
«Das weiß ich auch noch nicht. Ich bin heute leider …» Sie brach ab. Nur keine voreiligen Erklärungen abgeben, sich notfalls auf die Bezahlung ansprechen lassen und dann sagen: «Das regeln wir später. Ich muss erst zur Bank.»
Die Frau wartete einige Sekunden, als sie den Satz dann immer noch nicht beendet hatte, erkundigte sie sich: «Ich mein ja nur, ob ich morgen kommen soll, wenn Sie da sind. Bisher hat’s ja nicht gestört. Aber wenn’s Ihnen plötzlich nicht mehr passt, wär’s mir lieber, wenn Sie mir das rechtzeitig sagen und mich nicht wieder mitten aus der Arbeit pfeifen wie letzten Donnerstag.»
Das klang, als hätte Nadia vor ihrem Abflug noch dafür gesorgt,dass sie nicht über eine Fremde stolperte. Im Grunde war es harmlos. Aber wenn Nadia für den Donnerstag ein Zusammentreffen verhindert hatte, hätte sie das auch für weitere Tage getan. Nadia musste davon ausgegangen sein, dass eine Vertretung für den Montag nicht mehr gebraucht wurde. Die Erkenntnis ließ sie frösteln.
Sie stieg erneut nach oben, schob die Wasserpistole zum Kunstledermäppchen zwischen die Pullover, nahm frische Kleidung, duschte, überschminkte die Blässe und machte einen weiteren vergeblichen Versuch, Nadia auf ihrem Handy zu erreichen. Anschließend probierte sie es bei Alfo Investment. Im Büro war Helga Barthel nicht, das hatte sie ja angekündigt. Aber unter Hardenbergs Privatnummer wurde auch nicht abgehoben.
Sie probierte die restlichen Kurzwahlnummern, sparte nur Genf, München und das Labor aus. Fünfmal sagte sie: «Falsch verbunden!» Viermal hörte sie die Ansage eines Anrufbeantworters und erfuhr dabei zwei Namen, die ihr nichts sagten, zweimal wurde nur die Nummer gesprochen, die das Display zeigte.
Unter der Kurzwahl sechzehn meldete sich die Galerie Henseler. Lilo war am Apparat, hörte sich ihre Entschuldigung für den abrupten Abbruch der Party am Samstag an und beschwichtigte: «Ich bitte dich, Liebes, so tragisch war es nun auch wieder nicht.» Offenbar war es Jo gelungen, seine Frau zu überzeugen, dass mit seinem Spekulationsgewinn alles seine Ordnung hatte.
Unter siebzehn war ein Reisebüro gespeichert. Sie identifizierte sich als Helga Barthel von Alfo Investment und behauptete, ihre Kollegin Nadia Trenkler habe ihr für den Fall, dass sie montags nicht im Büro erschien, geraten, in ebendiesem Reisebüro Auskünfte über spontane Reisen und Aufenthaltsorte einzuholen, speziell Nassau und Berlin. Man warsehr hilfsbereit, wusste nur leider nichts von einer spontanen Reise Nadia Trenklers. Bei achtzehn, neunzehn und zwanzig wurde nicht abgehoben. Und Jacques’ Handy war vermutlich längst mit defektem Akku im Müll gelandet.
Als sie zurück ins Erdgeschoss kam, saß die Haushaltshilfe am Küchentisch, trank Kaffee und las in der Tageszeitung. Ihr kleiner Sohn zerkrümelte auf dem Fußboden den Inhalt einer Keksschachtel. Mit keinerlei Anzeichen eines schlechten Gewissens hob die Frau den Blick und tippte auf einen Zeitungsartikel. «Haben Sie’s gelesen? Jetzt stechen die sich schon gegenseitig ab. Na, um solche ist es auch nicht schade.» Dann teilte sie mit, sie werde nun oben mit den Fenstern anfangen, und erhob sich.
Die Frage des Namens klärte sich von selbst, als die Frau die Kekskrümel beseitigte und das Kind tadelte: «Du Ferkel, Andrea hat dir doch gesagt, du sollst sie nicht zermanschen.»
Andrea begab sich mit Pascal zurück in den Keller. Sie wollte erst einmal frühstücken. Eine Scheibe Schinken war noch da. Frischen Kaffee musste sie nicht aufbrühen. Die Kanne war noch gut zur Hälfte gefüllt. Um den Schein zu wahren, trug sie ihr Gedeck ins Esszimmer, nahm die Tageszeitung und auch die FAZ mit. Andrea lief zwischen Keller
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