Die Lüge
der Küche eingesperrt», erklärte sie und schränkte ein: «Aber das wird ihn nicht lange aufhalten, fürchte ich. Er kann sich die Tür allein aufmachen.»
Besorgt reagierte der Professor nicht auf diese Auskunft, eher verwirrt. «Darf ich hereinkommen?» Er zeigte mit einer ausladenden Geste über den Vorgarten. Und mit seinem nächsten Satz machte er ihr klar, wen sie vor sich hatte. «Oder soll ich den Rechner auf dem Rasen auseinander nehmen?»
Das Boot! Angesichts des Wagens am Straßenrand fiel ihr ein, was im Chaos nicht greifbar gewesen war. Ein junger, schlaksiger Computerfreak und ein Segelboot, das passte nicht zueinander. Es musste ja wohl auch etwas größer sein, wenn man darauf Urlaub machen konnte.
Es war so furchtbar peinlich! Sie wusste nicht, wohin sie schauen sollte, deutete zur Treppe und hauchte: «Oben!»
Professor Danny Kemmerling setzte sich in Bewegung. Wie kam ein Mann in den Fünfzigern zu dem Namen Danny? Und wie kam so ein junges Huhn im Labor dazu, ihn derart respektlos ans Telefon zu rufen? Bei einer korrekten Anrede wäre ihr das Boot bestimmt sofort eingefallen, und sie hätte darauf verzichtet, ihn um einen Gefallen zu bitten. Sie schloss die Haustür, lehnte sich mit dem Rücken dagegen, kämpfte den unvermittelt in ihr aufsteigenden, völlig unangebrachten Heiterkeitsausbruch nieder. Dann ging sie ebenfalls zur Treppe.
Danny Kemmerling hatte das Arbeitszimmer bereits ausfindig gemacht, lag auf Knien vor dem Schreibtisch und zog den großen Kasten zu sich heran. «Ich dachte, wenn ich etwas früher komme, besteht nicht die Gefahr, dass Michael uns überrascht», sagte er. «Er hat noch eine Weile zu tun.»
Einen Jumper zu setzen war eine Sache von nicht einmal fünf Minuten, wobei das Entfernen sämtlicher Kabel am Rechner und das Aufschrauben des Kastens die meiste Zeit in Anspruch nahm. Danny Kemmerling steckte einen winzigen Gegenstand zwischen Kabelstränge und Platinen, stülpte den Kasten wieder über das Gewirr, drehte sämtliche Schrauben ein und steckte alle Kabel wieder an ihre Plätze. Nachdem der Rechner zurück auf seinen Platz geschoben war, funktionierte er ausgezeichnet. Danny Kemmerling machte einen Probestart. Augenblicklich wurde das Betriebsprogramm geladen, und die ihr vertraute Dateiverwaltung erschien.
«Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll», sagte sie.
«Aber ich bitte Sie», wehrte er ab.
«Nein, nein», sagte sie. «Sie ahnen nicht, wie sehr Sie mir geholfen haben.»
Sie griff nach der Maus, klapperte eilig ein paar Verzeichnisseab und fühlte sich ein wenig leichter. Obwohl der Verstand ihr sagte, dass ihre Lage um keinen Deut besser war, nur weil Nadias Computer wieder funktionierte. Dass sich darin die Adresse des Ferienhauses auf den Bahamas samt einer dazugehörigen Telefonnummer befand, war mehr als unwahrscheinlich. Und wenn Nadia tatsächlich dort sein sollte, half ihr auch eine neue Handynummer von Jacques nicht weiter.
Danny Kemmerling betrachtete den Laptop, er stand immer noch mit Netzteil verbunden auf dem Schreibtisch. Anscheinend beabsichtigte er, sich auch so ein Gerät anzuschaffen, erkundigte sich, ob sie damit zufrieden sei.
«Ja, sehr», sagte sie. «Das ist ein P vier mit drei Gigahertz.» Im selben Moment fiel ihr Hardenbergs Bitte wieder ein, Nadia möge ihn anrufen, falls es Probleme mit dem Laptop gegeben hätte. Welche Probleme hätte es denn damit geben sollen? Wenn Philipp am Donnerstagabend mit Nadia telefoniert hatte, musste er doch wissen, dass sich der Laptop nicht in Nadias Händen, sondern bei ihr befand. Ob das ein Problem darstellte? Oder war Hardenberg auch am leeren Akku gescheitert und hatte gedacht, das Ding sei kaputt? Warum hatte Nadia den Laptop mit leerem Akku in Hardenbergs Büro deponiert und das Netzteil zu Hause? Um zu verhindern, dass Hardenberg sich etwas anschaute?
Sie fuhr den Rechner herunter, begleitete Danny Kemmerling hinunter ins Erdgeschoss und überlegte, wie sie ihm auf unverfängliche Weise ein paar Informationen zum Betriebsprogramm des Laptops abringen könnte. Doch das wurde noch einmal nebensächlich, als sie das offene Kuvert mit den Konzertkarten vom Flügel nahm. Sie zog die Karten heraus und den mit einer Büroklammer angehefteten lieben Gruß von Frederik ab. Anschließend stellte sie fest, dass Niedenhoff mit Vornamen ganz anders hieß. Jacques Niedenhoff – stand auf den Karten.
Im ersten Moment dachte sie, das müsse ein Zufall sein. Zwei Männer mit
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