Die Lüge
an dicht vorbei. Die nächste Lücke links. Sie quetschte sich hinein, beschleunigte wieder. Rechts tauchte eine Hinweistafel auf. Es war nicht mehr weit bis zur Ausfahrt. Der graue Wagen war nicht mehr zu sehen. Sie atmete tief durch, war überzeugt, ihn abgehängt zu haben.
Doch als sie den Blinker setzte und nach rechts in die Ausfahrt zog, tauchte er wie aus dem Nichts auf. Und wieder war er direkt hinter ihr. Sie verfehlte die Leitplanke bei der Ausfahrt nur knapp, raste weiter auf der rechten Spur, zog wieder nach links. Er ließ sich nicht abschütteln. Weitere zehn Kilometer jagte sie, ohne Gedanken an Johannes Herzog, trotzdem den Kopf voll mit seinen Instruktionen, von einer Spur auf die andere, auch nochmal über die Standspur. Da kam er ihr so nahe, dass sie befürchtete, er dränge sie in die Leitplanke.
Zwanzig Kilometer, dreißig Kilometer – es ging nur im Zickzack, begleitet von Hupkonzerten anderer Fahrer. Dann tauchte rechts wieder eine Hinweistafel auf. Sie wartete bis zur allerletzten Sekunde, schlingerte in die lang gezogene Kurve der Ausfahrt. Der graue Wagen schlingerte hinter ihr her. Aber Ramon hatte nicht bei Johannes Herzog gelernt. Er verlor die Kontrolle über den Wagen. Im Innenspiegel sah sie noch kurz, wie er sich drehte und quer zur Fahrbahn stehen blieb. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass ein Sattelschlepper, ein Kühltransporter oder sonst ein Riese ihr diese Sorge abnähme. Dann verlor sie ihn aus den Augen, raste weiter über ein Stück Landstraße zur nächsten Auffahrt und den Weg zurück.
Zweimal geriet sie in Versuchung, das Tempo zu drosseln, um festzustellen, ob sie ihn tatsächlich losgeworden war. Aber so verrückt war sie dann doch nicht. Nur auf dem letzten Stück fuhr sie etwas langsamer. Zwischen den kahlen Alleebäumen kamen ihr zwei Fahrzeuge entgegen. Hinter ihr war niemand.
Einigermaßen beruhigt bog sie in den Marienweg ein. Vor Niedenhoffs Grundstück stand ein helles Auto. Das registrierte sie, als sie in die Einfahrt steuerte. Doch genau schaute sie nicht hin. Das Garagentor glitt in die Höhe. Sie fuhr hinein und schaltete den Motor aus, ohne zu bemerken, dass jemand durch das offene Tor trat. Das Tor senkte sich nach einem Augenblick Stille. Und jemand klopfte an die Seitenscheibe. Ihr Kopf flog nach links. Sie sah nur Bauch und Beine in einer dunklen Männerhose.
Es war ein teuflischer Moment, denken zu müssen, dass Ramon sie gejagt und Zurkeulen hier, wo sie sich hinter Wärmesensoren, Bewegungsmeldern und Überwachungseinheiten in Sicherheit wähnte, auf sie gewartet hatte. Was wusste sie denn, was die von Nadia erfahren hatten? Sie mochten Nadia zu einigen Geständnissen gebracht haben. Beide Hände bis auf die Knochen verbrannt, sodass es nicht mehr möglich gewesen war, der Leiche Fingerabdrücke für einen Vergleich abzunehmen oder die Ringfurche an der rechten Hand zu bemerken. Zweimal überfahren und es somit unmöglich gemacht, einen alten Schädelbruch zwischen frischen zu vermissen. So entsetzlich es geklungen hatte, es hatte sie beruhigt. Und nun das!
«Frau Trenkler?», fragte eine höfliche Stimme. Sie schaute längst wieder nach vorne, mochte einfach nicht hinsehen in das Gesicht, das nur durch ein Stück Glas von ihrem getrennt war. Eine Männerstimme, von der sie meinte, sie schon einmal gehört zu haben. Aber sie hatte in letzter Zeit viele Männerstimmen gehört.
«Frau Trenkler?», wiederholte der Mann höflich und zurückhaltend. Sie schaffte es endlich, den Kopf zu drehen. Er öffnete die Wagentür. Ihre Hände und Knie zitterten derart, dass er ihr beim Aussteigen helfen musste. Er lächelte verlegen. «Ich wollte Sie nicht erschrecken. Sie erinnern sich?»
Ja, das tat sie, an seinen Bart, seinen Dienstausweis, sogar an seinen Namen. Dettmer, der misstrauische Helfer auf der Autobahn am Probesonntag im August. Sie hatte kaum Luft. «Schleichen Sie sich immer so in fremde Garagen?»
Er ließ sie los, betrachtete interessiert den Alfa. «Ich dachte, Sie hätten mich gesehen.»
«Nein.» Mit immer noch weichen Knien ging sie zur Verbindungstür. Dettmer folgte. Dicht hinter ihr betrat er die Diele. Was er wollte, hatte er noch nicht gesagt. Und sie traute sich nicht, ihn zu fragen, ging in die Küche, legte ihre Tasche auf den Tisch, zog die Jacke aus und hängte sie über eine Stuhllehne.
«Ich weiß nicht, ob Sie heute die Zeitung gelesen haben», begann Dettmer, weiter kam er nicht. Plötzlich heulte
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