Die Lüge
war sofort alarmiert. «Das klingt nach Wirtschaftskriminalität. Vermutlich saß er ihr im Nacken, und sie hat diesen Röhrler ans Messer geliefert, um ihn zu beschäftigen. Wollen wir wetten?» Das wollte sie nicht, er hatte wohl Recht.
Kurz nachdem Dieter das Haus verlassen hatte, wollte sie aufbrechen, um die Datenübertragung vorzunehmen. Zeit schien ausreichend vorhanden. Zwar war es bereits kurz nach drei, doch noch während sie dem grünen Kombi nachschaute – und festzustellen versuchte, ob die Nachbarschaft den Besuch bemerkt hatte –, rief Michael an.
Nachdem er die ersten Sätze auf Band gesprochen hatte, war er spürbar erleichtert, als sie doch noch abhob. «Ich dachte, wir könnten heute Abend zu Demetros fahren», schlug er vor. «Bei mir wird es zwar etwas später. Aber bis neun müsste ich es schaffen. Du kannst ja vorausfahren. Wir treffen uns dort.»
«Sei mir nicht böse», sagte sie. «Ich habe keine Lust auszugehen.»
«Wartest du daheim auf mich?»
«Natürlich.»
Das Letzte, was sie hörte, war ein leises: «Ich liebe dich.»
Nein, dachte sie, mich nicht. Dann schaltete sie die Alarmanlage ein und ging zur Garage. Es herrschte dichter Verkehr auf der Autobahn und in der Stadt. Sie brauchte trotzdem nur knapp fünfundvierzig Minuten, stellte den Alfa auf einem der vier reservierten Plätze ab, fuhr mit dem Aufzug hinauf. Niemand begegnete ihr. Auch bei Alfo Investment war niemand, wie Dieter es vorhergesagt hatte.
Die Datenübertragung dauerte ihre Zeit, aber Schwierigkeiten damit hatte sie nicht. Als sie das Büro verließ, war das Gebäude fast menschenleer. In der Tiefgarage standen nur noch wenige Fahrzeuge zwischen den mächtigen Säulen. Es war kein Wagen dabei, der ihr bekannt vorgekommen wäre und sie gewarnt hätte. Sie hörte zwar, dass irgendwo im Hintergrund ein Motor gestartet wurde, schenkte dem jedoch keine Beachtung.
In der Stadt bemerkte sie ihren Verfolger mehrfach. Nur wurde ihr anfangs nicht bewusst, dass es sich um einen Verfolger handelte. Es war ein grauer Wagen. Er überholte zwar nicht, aber das war im dichten Feierabendverkehr auch unmöglich. Sie ließ sich treiben – vom Verkehr und ihren Gedanken. Demetros! Ein nettes Essen in einem gemütlichen Lokal wäre schön gewesen. Aber kochen konnte sie auch. Und den Tisch hübsch decken mit Kerzen und allem, was dazugehörte. Nur konnte sie sich keine Versöhnung auf der ganzen Linie leisten. Die vergangene Nacht hatte das so deutlich gemacht, wie kein Streit es vermocht hätte. Und wenn das Herz dabei in Stücke ging – sie musste Michael zurück auf die Scheidung bringen. Oder besser noch, sichselbst absetzen. Nicht unbedingt heute oder morgen, aber so schnell wie möglich.
Als der graue Wagen hinter ihr in die Autobahnauffahrt bog, dachte sie noch nicht weiter als Paris. Wenn Michael bis Mittwoch Urlaub nehmen konnte und Phil und Pamela sich auf einen Besuch freuten. Eine fremde Stadt, es sollte möglich sein, dort unterzutauchen. Sie musste ja nicht dort bleiben – ohne Sprachkenntnisse wäre das auch schwierig.
Der graue Wagen klebte förmlich an ihrer Stoßstange. Endlich fiel ihr das auf. Sie sah auch, dass nur ein Mann darin saß. Die Scheinwerfer des Fahrzeugs hinter ihm zeigten seinen Kopf wie einen Schattenriss im Innenspiegel des Alfa. Ein eckiger Kopf, gedrungen! Ihr Herz machte zwei schnelle Schläge.
Sie fuhr auf der linken Spur, und rechts war eine kleine Lücke zwischen einem Sattelschlepper und einem Kühltransporter. Es war verdammt eng. Der Fahrer des Kühltransporters reagierte mit anhaltendem Fanfarengedröhn auf ihr riskantes Manöver. Die Kühlerhaube des massigen Fahrzeugs ragte kurz wie ein Berg hinter ihr auf. Für einen Moment sah sie sich zerquetscht unter dem Sattelschlepper, wagte einen Blick nach links. Der graue Wagen hatte sein Tempo ebenfalls gedrosselt und war nun direkt neben ihr. Das Gesicht des Fahrers war deutlicher zu erkennen. Ramon! Sie zog noch einmal scharf nach rechts auf die Standspur und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
Rechts flog schwarzes Gesträuch neben der Leitplanke, links eine endlose Kette von Lastwagen vorbei. Es war so schmal, als rase sie durch einen Schlauch. Nach zwei oder drei Kilometern schien es vorne Luft zu geben. Sie jagte auf die Lücke zu, scherte ein, trat hart auf die Bremse. Vor ihr quälte sich ein uralter Kastenwagen eine Steigung hinauf. Hinter ihr glühten die Scheinwerfer eines Lkws. Neben ihr fuhren Pkwsdicht
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