Die Lüge
ruhig genug, um sein Gebaren für einen Fehler zu halten. Und Michael machte für ihr Empfinden einen noch größeren Fehler, als er heimkam. Er wunderte sich über die Versammlung im Wohnraum, verlangte eine Erklärung und behauptete dann, sie habe ihn am Freitagmorgen zum Labor gefahren und abends dort abgeholt, weil er zu tanken vergessen hatte. Sie seien zu Demetros gefahren und erst nach Mitternacht heimgekommen. Dettmer verabschiedete sich endlich. Und kaum war die Haustür hinter ihm zugefallen, sagte Wolfgang Blasting: «Das war nicht nötig. Ich garantiere dir, dass er jetzt zu Demetros fährt.»
Michael hob lässig die Achseln. «Lass ihn doch. Ich rufe kurz an und sag Bescheid, dass wir da waren.»
Und niemand zuckte mit einer Wimper. Es kam nicht einmal jemand auf den Gedanken, sie zu fragen, wo sie tatsächlich gewesen war am Freitagabend. Lilo tätschelte erneut ihre Hand. Jo lächelte ihr aufmunternd zu. Michael lächelte auch kurz, aber sehr kühl in ihre Richtung und ging hinauf. Wolfgang Blasting folgte ihm. Jo schloss sich an mit der Frage, woher er den nötigen Speicherplatz für die Sicherungsanlage nehmen sollte. Wenn die Security gepackt blieb, musstenbeim nächsten Alarm erneut die Leitungen auf dem Dachboden gekappt werden. Lilo fiel wieder ein, dass Kestermann noch vorbeikommen wollte, um das Bild abzuholen, und erkundigte sich besorgt: «Wie fühlst du dich, Liebes? Kann ich dich mit ihnen allein lassen?»
Sie nickte nur und begleitete Lilo zur Haustür. Dort bekam sie noch den Rat zugeflüstert: «Wenn Wolfgang unverschämt wird, wirf ihn raus.» Wie das gemeint war, begriff sie, als sie das Arbeitszimmer betrat. Jo saß wieder am Computer, Michael und Wolfgang Blasting standen zu beiden Seiten neben dem Stuhl und betrachteten die neue Datenfülle. Umsonst war Wolfgang Blastings Hilfe nicht gewesen.
Michael hatte in den wenigen Minuten bereits umfassend über Philipp Hardenbergs Machenschaften mit einer Doppelgängerin berichtet. Jo hatte schon festgestellt, dass zahlreiche der soeben hereingekommenen Dateien auch an anderer Stelle auf der Festplatte lagen und somit in doppelter Ausführung vorhanden waren. Wolfgang Blasting eröffnete mit der Frage: «Bist du völlig sicher, dass diese Lasko für Hardenberg gearbeitet hat?»
Nur keinen Fehler machen jetzt! Das erbärmliche Zittern fest im Innern verschließen. Sie nickte nur.
«Wie bist du denn auf den Gedanken gekommen?», bohrte Wolfgang Blasting weiter.
«Hast du noch mehr derart intelligente Fragen?», erkundigte sich Michael gereizt an ihrer Stelle. «Auf welchen Gedanken wärst du denn gekommen, wenn du von einem Fremden als Frau Lasko wegen einer Investmentsache angesprochen wirst?»
Wolfgang Blasting zuckte mit den Achseln, während Jo versuchte, Hardenbergs Kundenregister zu öffnen. Der Computer meldete, er könne das Betriebsprogramm nicht finden. «Warum hast du das Programm runtergenommen?», fragte Jo.
Wolfgang Blasting warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. Und plötzlich ging es, Dieters Warnung zum Trotz, auf sehr dünnem Eis, aber glasklar und messerscharf. «Ich brauchte Platz. Ich habe die kompletten Daten von Philipp rübergeholt, um mir hier ungestört anzusehen, was da vorgegangen ist.»
Wolfgang Blasting fand nur zwei Worte für seine Begeisterung: «Was? Alle?»
Nur eine knappe Minute später lud Jo die erheblich kleinere SLK in den Editor. Es dauerte etliche Sekunden, ehe sich Zahlen und Buchstaben über den Bildschirm ergossen. Nicht so ordentlich aufgelistet wie auf dem Kontenblatt, das Dieter ihr gezeigt hatte. Trotzdem brauchte Wolfgang Blasting nicht lange, um zu erkennen, was er vor sich hatte. Mit dem Blick des Experten stellte er sogar fest, das Geld liege in Nassau. «Warst du deshalb auf den Bahamas, um Nachforschungen anzustellen?», fragte er.
«Nein», sagte Michael rasch. «Als wir unten waren, hatte sie noch keine Ahnung von einer Doppelgängerin. Das hat sie erst in den letzten Tagen rausgefunden.» Seine Stimme klang fest, nur seine Augen verrieten, dass er log.
«Bekomme ich eine Kopie?», fragte Wolfgang Blasting.
«Wozu?», fragte Michael. «Die Frau ist tot. Die kannst du nicht mehr fragen, wem das Geld gehört.»
«Ich schätze aber», sagte Wolfgang Blasting, «dass die Besitzer über kurz oder lang bei Hardenberg vorstellig werden. Ich könnte einen Mann in der Nähe seines Büros postieren.»
«Können wir nicht wenigstens etwas davon löschen?», fragte Jo dazwischen.
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