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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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verreiste, zusätzlich zu zwei Kreditkarten. «Was soll das denn?»
    Antworten konnte sie ihm nicht, schluckte nur krampfhaft und presste eine Hand vor den Mund. Die Stewardess war nahe genug, um zu sehen, was vorging. Mit einigen Tüchern sprang sie ein und verwies auf eine Tüte im Netz an der Rückenlehne des Vordersitzes. Ihr war so elend, dass sie es nicht mal mehr als peinlich empfinden konnte. Michael entschuldigte sich mit einem verständnislosen Achselzucken für sie: «Meine Frau hat normalerweise keine Probleme.»
    Es wurde nicht besser. Sie brauchte noch eine Tüte und begriff nicht, dass es Menschen gab, die fliegen schön fanden. Im Gang wurden inzwischen Getränke angeboten. Die Stewardess offerierte in bester Absicht einen Cognac. Michael lehnte strikt ab und bestand auf einem Mineralwasser. Sie entschied sich für einen Tomatensaft, würzte mit viel Salz und Pfeffer. Am Morgen nach Lilos Party hatte das ihrem Kreislauf auf die Sprünge geholfen. Das tat es auch jetzt. Aber noch ehe Magen und Hirn sich völlig beruhigen konnten, ging die Maschine in den Sinkflug über, und alles begann von vorne.
    Da war nichts mehr mit einem Blick aus dem Fenster und einem ersten Eindruck der Stadt aus der Vogelperspektive. Die Gepäckfächer waren hilfreicher. Die Boeing rumpeltebeim Aufsetzen, ihr Magen rumpelte mit. Dann war es endlich vorbei. Michael löste ihren Gurt und meinte lakonisch: «Es war wohl ein bisschen viel in den letzten Tagen.» Das klang nach Schadenfreude.
    Er wartete, bis das Gedränge im Gang sich aufgelöst hatte, half ihr beim Aufstehen. Die Stewardess erkundigte sich noch einmal nach ihrem Befinden und wünschte ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Michael führte sie aus der Enge, durch endlose Gänge. Irgendwo nahm er ihre Koffer von einem Förderband und hielt Ausschau nach einem Gepäckwagen, weil er nicht gleichzeitig zwei Koffer tragen und sie stützen konnte.
    «Wenn du mir sagst, wohin ich deinen aufgeben soll, brauche ich ihn nicht bis zum Taxi zu schleppen.» Er schien wieder einmal – diesmal sogar zu Recht – der Ansicht, sie wolle sich absetzen.
    «Mich musst du nicht schleppen», murmelte sie. Allzu sicher war sie nicht auf den Beinen. Der Boden schwankte bei jedem Schritt. Die Lichter an der Decke tanzten. Das Gedränge um sie herum hinterließ verwischte Eindrücke, als habe eine Kamera mit der falschen Belichtungszeit aufgenommen.
    «Setz dich», verlangte er. «Ich schau mal nach, wo Phil steckt.» Er drückte sie irgendwo auf einen Stuhl nieder, stellte die Koffer neben ihr ab und ging davon. Nach zehn Minuten kam er zurück und wunderte sich, dass Phil nirgendwo zu entdecken war. «Hast du ihm nicht gesagt, wann wir ankommen?»
    «Hab ich vergessen.»
    Frustriert zückte er sein Handy, um das Versäumte nachzuholen. Leider erreichte er Phil und Pamela nicht und entschied: «Wir fahren bei ihnen vorbei. Vielleicht sind sie nur kurz aus der Wohnung. Wenn nicht, hinterlassen wir eine Nachrichtund fahren zum Hotel.» Sie erklärte ihm lieber nicht, dass sie auch die Hotelreservierung vergessen hatte.
    Bis zu den Taxis schlich sie hinter ihm her. Dann trug er ihr auf, dem Fahrer Phils Adresse zu nennen und ein paar Angaben zur näheren Umgebung zu machen, Montparnasse, und dass er am besten über die Rue de Vaugirard führe. Zum Glück hatte der Fahrer ihn bereits verstanden. Sie hätte es auch nicht gewagt, den Mund zu öffnen, verkroch sich im Wagenfond und fühlte sich halb tot.
    Paris Anfang Dezember. Es war ein Traum in Grau und lausig kalt. Von der Stadt sah sie nur Nieselregen, Lichtspiegelungen auf nassem Asphalt und die Scheibenwischer des Taxis. Ihr Hirn schwamm immer noch in Druckwellen. Die geringste Kopfbewegung hatte einen entsetzlichen Schwindelanfall zur Folge. Die Übelkeit erstreckte sich von den Kniekehlen bis zu den Augen. Sie fuhren gewiss an einigen Sehenswürdigkeiten vorbei. Doch sie wagte es nicht, zur Seite zu schauen.
    Der Fahrer versuchte, mit Michael ins Gespräch zu kommen, stellte Fragen zu Sinn und Zweck ihres Aufenthalts. Ein paar Bröckchen verstand sie. Michael begriff scheinbar nicht, was der Mann von ihm wollte, jedenfalls gab er keine Antwort. Sie dachte noch einmal flüchtig an die handgeschriebenen Zeilen, Jacques, mon chéri. Bei einem Mann, der kein Französisch konnte, war es kein großes Risiko gewesen, so etwas herumliegen zu lassen. Sie könnte jetzt vielleicht den einen oder anderen Satz übersetzen, aber viel hatte ihr Dieters

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