Die Lüge
gehen wir ins Bett. Das bekommt meinem Kreislauf noch besser.»
Als Michael das Licht im Schlafzimmer endlich löschte, war es fast Mitternacht. Er schlief rasch ein. Sie lag noch eine Weile wach, spürte den Ring an ihrem Finger, den er ihr in Paris angesteckt hatte. Und irgendwie gehörte er damit nun zu ihr. Dann dachte sie an ihre Mutter, auch kurz an Dieter, der sich vermutlich wunderte oder aufregte, weil sie sich in den vergangenen Tagen nicht aus Rumänien bei ihm gemeldet hatte. Mit dem Vorsatz, ihn am nächsten Morgen anzurufen, fiel sie kurz nach eins in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie irgendwann ein vertrautes Geräusch riss. Das metallische Schnappen der Zentralverriegelung, als die Alarmanlage ausgeschaltet wurde.
Es gab im Klang keinen Unterschied zwischen Aus- und Einschalten. Und sie hatte es nun so oft gehört. Einmal war es Andrea gewesen, meist Michael. Sie wurde nicht sofort richtigwach, war im Halbschlaf überzeugt, es sei früher Morgen und er führe nun ins Labor. Der gedämpfte Schrei passte nicht zu dieser Überzeugung und weckte sie vollends. Im Aufrichten fühlte sie Michael neben sich.
Es war dunkel im Zimmer, die Tür zum Flur geschlossen. Polternde Schritte kamen die Treppe herauf. Jemand gab sich große Mühe, gehört zu werden. Sie rüttelte ihn an der Schulter und flüsterte: «Michael, wach auf, da ist jemand.» Unter der Tür erschien ein schmaler gelber Streifen. Ein Bewegungsmelder hatte die Flurlampe aktiviert. Sie rüttelte heftiger an seiner Schulter und flüsterte eindringlicher: «Michael.»
Er bewegte sich erst, als die Tür schon geöffnet wurde. Ein greller Lichtkegel huschte durchs Zimmer, heftete sich auf ihr Gesicht und blendete sie. Auf dem Flur gab jemand einen erstickten Ton von sich. Und eine kehlige Stimme verlangte: «Gib endlich Ruhe.» Es gab einen Laut wie ein Aufstöhnen und einen schweren, dumpfen Schlag. Das grelle Licht verhinderte, dass sie etwas erkannte. Aber was vorging, machte ihr die Stimme von Markus Zurkeulen klar, als er tadelte: «Ramon, nicht immer so ungestüm.»
Und endlich richtete sich Michael neben ihr auf, blinzelte ins Licht. «Was ist …»
Eine kehlige Stimme unterbrach ihn: «Ganz ruhig, Freundchen. Wenn du dich rührst, knall ich dich ab.»
Sie standen zu zweit in der offenen Tür. Zu erkennen waren sie erst, als das Deckenlicht aufflammte. Markus Zurkeulen lächelte höflich und kam näher. Ramon blieb stehen. Michael machte eine Bewegung zur Seite, als wolle er nach dem Telefonhörer neben seinem Bett greifen. Ramon forderte ihn auf, keine Dummheiten zu machen. «Sonst hast du’s gleich überstanden.»
Zurkeulen tadelte seinen Begleiter erneut, er möge sichbitte eines anderen Tones befleißigen. In diesem Jargon sei doch keine niveauvolle Unterhaltung möglich. Dann riet er Michael, sich lieber an Ramons Anweisungen zu halten. «Ich tue mein Möglichstes, ihm gute Manieren beizubringen. Leider bricht seine schlechte Erziehung immer wieder durch.» Seine Höflichkeit war fast schlimmer als die Pistole, die Ramon in der rechten Hand hielt.
Sie saß nackt und aufrecht und konnte nichts weiter tun als die Waffe anstarren, fühlte sich wie zurückgeschleudert in den zweiten Banküberfall und den Dreck der Fabrikruine. Michael griff nach dem Laken, zerrte es über ihre Brüste und drückte ihr beide Hände dagegen. «Verschwinden Sie», forderte er Zurkeulen auf.
«Selbstverständlich», sagte Zurkeulen, als er das Bett erreichte. Für sie hatte er noch keinen Blick, seine Aufmerksamkeit galt Michael. «Es liegt nicht in meinem Interesse, Ihre Zeit über Gebühr in Anspruch zu nehmen.» Das Ihre sprach er sehr betont aus und fügte die Bitte an: «Wenn Sie mich freundlicherweise für ein paar Minuten mit der Dame alleine lassen.»
«Ich denke nicht daran», sagte Michael und legte ihr demonstrativ den Arm um die Schultern. «Und Sie haben keine Minuten mehr. Die Polizei muss jeden Augenblick hier sein. Der stille Alarm geht direkt zur Quelle.»
Zurkeulen holte ohne jede Vorwarnung aus und schlug mit dem Handrücken zu. Michaels Unterlippe platzte auf. «Wie bedauerlich», sagte Zurkeulen, betrachtete seine Hand. «Meine Reflexe habe ich leider nicht ständig unter Kontrolle. Es liegt wohl daran, dass ich es nicht schätze, belogen und betrogen zu werden.»
Sie sah und hörte das alles, nur denken konnte sie nicht. Das ständige Hin und Her zwischen vermeintlicher Sicherheit und akuter Bedrohung war derart
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