Die Lüge
Pamela.
Sonntags machten sie einen Spaziergang am Seineufer, zu Mittag aßen sie in einem kleinen Bistro. Montags hatte Phil an der Sorbonne zu tun. Michael wollte nach dem Frühstück im Hotel alleine etwas erledigen und setzte sie sicherheitshalber mit dem Taxi bei Pamela ab. So ganz schien er ihr nicht zu trauen.
Das wäre die Gelegenheit gewesen, zu tun, weshalb sie eigentlich nach Paris gekommen war. Stattdessen machte sie Einkäufe mit Pamela, lernte ein paar kleine Läden kennen, nicht die großen, in denen Nadia sich wohl gründlich umgetan hätte. Sie kaufte Sachen fürs Baby, noch zwei Büstenhalter, etwas Unterwäsche und ein hübsches Kleid, das sie in drei oder vier Monaten wohl ausfüllen würde. Pamela war wie sie daran gewohnt, Preise zu vergleichen, und Nadia nie begegnet. Sie lebte erst seit drei Jahren mit Phil zusammen, verheiratet waren sie nicht, und Kinder konnten sie nicht bekommen. Pamela hatte sich nach zwei Fehlgeburten in jungen Jahren einer Operation unterziehen müssen. Sie litt darunter und beneidete sie nun glühend. Aber sie lachten auch viel, kamen bepackt mit Tüten zurück in die Wohnung, die sie so sehr an die Kettlerstraße erinnerte.
Michael wunderte sich über die Preise ihrer Einkäufe. Sie konnte lachen und sagen: «Schatz, ich bin arbeitslos, hast du das vergessen? Und wir müssen jetzt für drei denken.»
Er lachte ebenfalls, war selbst alles andere als sparsam gewesen,hatte ihr einen Ring gekauft, das dritte Siegel unter dem Bund ihrer Ehe. Er lachte auch über die Abendkleider und das Smokinghemd, das sie erst am Montagabend völlig zerdrückt aus den Koffern nahmen. Er lachte, als sie sich dienstags von Pamela einen warmen Pullover leihen musste, weil sie den einzigen, den sie mitgenommen hatte, mit Kaffee bekleckerte – beim Lachen.
In der Nacht zum Mittwoch gab es einen nachdenklichen Moment. Er bemerkte erneut ihr Muttermal. Bis dahin hatte sie es immer sorgfältig abgedeckt. «Wo kommt das denn plötzlich wieder her?», wunderte er sich.
«Nicht plötzlich», sagte sie. «Es ist schon vor einer Weile wieder aufgetaucht. Ich wollte nur nicht, dass du dich darüber aufregst und mir die Sonnenbank streichst. Es ist bestimmt harmlos. Während einer Schwangerschaft verändert sich die Haut eben. Da verändert sich alles.»
«Ja», sagte er und lachte wieder. «Sogar ein stabiler Kreislauf.»
Am Mittwochmorgen dachte sie daran, Dieter anzurufen und sich zu erkundigen, wie die Dinge standen. Michael war im Bad. Doch ehe sie sich überwinden konnte, den Telefonhörer abzunehmen – und vielleicht hören zu müssen, dass es allerhöchste Zeit sei, zu verschwinden –, kam Michael zurück.
Sie fuhren noch einmal zu Phil und Pamela, aßen mit ihnen zu Mittag. Zum Abschied bekam sie von Phil einen Kuss auf die Wange. Pamela nahm sie in die Arme, bat um zahlreiche Anrufe, wollte stets und ständig informiert sein, wie es dem Baby ging.
Ihre Maschine ging am frühen Nachmittag. Am Flughafen hätte sich ihr vielleicht noch eine Chance geboten, unter dem Vorwand, zur Toilette zu müssen, im Gedränge zu verschwinden. Aber wahrscheinlich hätte er sie begleitet und vor derTür auf sie gewartet. Und sie wollte doch auch nicht mehr wirklich weg, nicht nach den letzten Tagen.
Wieder war es eine Boeing 737, die sie schon in der Startphase in ein Häufchen Elend verwandelte. Mit dem kreislaufstabilisierenden Medikament, welches ihr der Arzt verordnet hatte, wurde es zwar nicht gar so schlimm wie auf dem Hinflug, aber es reichte. Michael war rührend besorgt.
Erst nach der Landung sagte er ihr, dass er am frühen Morgen mit Wolfgang Blasting telefoniert hatte, während sie unter der Dusche gewesen war. Sie standen schon auf dem Parkplatz, er verstaute die Koffer im Wagen und erklärte dabei: «Wolfgang will gleich selbst mit dir reden. Er meint, du hättest unbeschreibliches Glück gehabt, dass du diesen Kerlen mit dem Frankfurter Auto entkommen bist.»
Mit ihren Angaben hatte die Polizei den Halter der schwarzen Limousine rasch ausfindig gemacht. Markus Zurkeulen war ein ehemals ganz großer Boss in der Frankfurter Unterwelt. In den letzten Jahren war sein Einfluss von osteuropäischen Banden arg beschnitten worden. Deshalb hatte er wohl beschlossen, sich zur Ruhe zu setzen, etliche Etablissements aus dem Rotlichtmilieu an einen Russen verkauft, offiziell für eine lächerliche Summe. Der tatsächliche Wert dürfte bei etwa fünfeinhalb Millionen gelegen haben, hatte
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