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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Hinsehen stellte sie jedoch fest, dass es gar keine Schraube war. Das Gewinde fehlte, und das Ding war viereckig, am länglich dünnen Teil ebenso wie am dickeren Ende, welches sie im Fieber für den Schraubenkopf gehalten hatte. Aber es musste zum Tisch gehören, eine andere Erklärung fand sie nicht. Sie kippte den Tisch auf die Seite, kniete sich hin und untersuchte die Stelle, an der das lockere Tischbein befestigt war.
    Damit war sie noch beschäftigt, als Nadia die Wohnung betrat, die Tür hinter sich schloss und gleich losschimpfte. «Bist du noch bei Trost? Warum liegst du nicht im Bett? Was treibst du denn da auf dem Boden?»
    Nadia war mit zwei Schritten neben ihr, kniete ebenfalls nieder, ließ sich das Problem erklären und nahm ihr den undefinierbaren Gegenstand aus der Hand. Sie inspizierte ebenfalls alle vier Tischbeine und meinte: «Was immer es ist, es ist abgebrochen. Du kannst es nicht mehr gebrauchen. Ich werfe es weg, okay?»
    Bei den letzten Worten steckte Nadia das Ding ein und half ihr hoch. Draußen rauschte ein Intercity vorbei, dicht gefolgt von einem Nahverkehrszug auf dem Nachbargleis. Die Fensterscheiben erzitterten. Nadia zuckte zusammen und riet: «Jetzt leg dich hin. Ich muss noch einmal weg. Esdauert nicht lange, danach habe ich Zeit. Ich bringe etwas zu essen mit.»
    Um sicherzustellen, dass sie sich tatsächlich ins Bett legte, führte Nadia sie ins Schlafzimmer, half ihr beim Ausziehen, deckte sie zu und nahm das abgegriffene Kunstledermäppchen mit Haus- und Wohnungsschlüssel an sich. «Du hast doch nichts dagegen? Dann musst du nicht aufstehen, wenn ich zurückkomme.»
    So viel Fürsorge hatte Susanne zuletzt genossen, als sie nach irgendeiner Schutzimpfung Fieber und Ausschlag bekam. Da war sie zwölf gewesen, und ihre Mutter hatte sie gehätschelt und gepflegt mit allem, was ihr gut und richtig erschien. Schokolade und Kakao, Salzstangen und Apfelsaft, Kekse mit Cremefüllung und Coca-Cola. Fünfmal hatte Agnes Runge das Bett frisch beziehen müssen, weil sich ihre Krankenkost nicht mit dem Zustand der Tochter vertrug.
    Nadia war klüger. Sie kam nach anderthalb Stunden zurück und brachte drei Alu-Schalen mit, aus denen es köstlich duftete. Huhn mit Wiesenchampignons, gebratene Nudeln mit Schweinefleisch und Krabben, in der dritten Schale war Reis. Außerdem hatte Nadia einige Flaschen Mineralwasser besorgt. «Ich hoffe, du magst chinesisch.»
    «Ich mag es bestimmt, ich habe nur keinen Appetit.»
    «Hier wird gegessen», bestimmte Nadia und fand, sie solle die Mahlzeit im Bett genießen. Ohne zu fragen, schleppte sie die beiden Küchenstühle an, nahm ein sauberes Laken aus dem Schrank, breitete es über einen Stuhl, stellte die Schalen darauf und half ihr, sich aufzurichten. «Nimm dir, was du magst. Ich hole Teller und Besteck.»
    Das Geschirr war im Küchenschrank. Sie hörte Nadia erst im Wohnzimmer rumoren, dann in der Küche. Ob es ihr recht war, dass Nadia sich so selbstverständlich in ihrer Armseligkeit umtat, wusste sie nicht. Im Grunde war sie nur unendlichdankbar; für Nadias Hartnäckigkeit, das Geld in der Blazertasche, das Verständnis für den Griff nach Mutters Alterssicherung und die Bereitwilligkeit, ihr die Identität zur Verfügung zu stellen, ihr damit zu einem Arztbesuch und den notwendigen Medikamenten zu verhelfen.
    Nadia nahm von den Nudeln, saß auf dem zweiten Stuhl bei der Tür, hielt ihren Teller auf dem Schoß und ließ es sich schmecken. Susanne würgte an einem Fleischstückchen und einem halben Champignon und wartete wie beim ersten Treffen auf Nadias Angebot. Doch vorerst sagte Nadia nur: «Wenn dir das Huhn nicht schmeckt, probier die Nudeln.»
    Um Gottes willen keine Nudeln, wenn sie etwas anderes haben konnte. «Es schmeckt sehr gut», sagte sie. «Ich habe nur wirklich keinen Appetit. Durst habe ich.»
    Nadia holte zwei Gläser aus der Küche, füllte sie mit Mineralwasser und reichte ihr eins: «Trink und dann iss. Du musst etwas essen, Susanne. Du bist sehr dünn geworden. Ich meine, so mager wärst du vorher nicht gewesen.»
    Nadia hatte sie sehr aufmerksam betrachtet, als sie ihr beim Ausziehen und ins Bett half. Das war ihr aufgefallen und ein wenig peinlich gewesen, weil Nadia darauf bestand, dass sie auch den Büstenhalter ablegte und das Höschen auszog. Sie war noch nie so intensiv von einer Frau gemustert worden.
    Zwei Sekunden lang schwieg Nadia, dann erklärte sie: «Ich werde zusehen, dass ich es morgen schaffe, mich

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