Die Lüge
Vorstadtstümpers, und derartige Sparmaßnahmen gefährdeten alles. Nadia wollte für die nächste Woche einen Termin bei ihrem Friseur vereinbaren. Es sollte die Generalprobe werden.
Um vier setzte Nadia die Sonnenbrille wieder auf, wickelte das Tuch um den Kopf, nahm den Alibibeutel aus der Boutique, den Orangensaft und auch den Koffer wieder mit, in dem sie ihre getragene Kleidung mitgebracht hatte. Sie versprach, am Montagnachmittag zurückzukommen, und verabschiedete sich mit der Ermahnung, bis dahin tüchtig zu essen, viel zu schlafen und die Medikamente zu nehmen.
Susanne verbrachte den Nachmittag damit, Obst zu essen,bis sie das Gefühl hatte, bei der nächsten Traube zu platzen. Sonntags rächte sich die ungewohnte Schlemmerei mit Durchfall und Übelkeit nach der zweiten Portion Geflügelsalat. Trockener Toast am Sonntagabend kurierte den überforderten Magen wieder. Montags ging es ihr gut. Sie hustete kaum noch, und wenn, hörte es sich zwar gewaltig an, aber es war eine Erleichterung.
Draußen war angenehmes Wetter. Nicht zu heiß, nicht zu kühl, nicht zu feucht, nicht zu trocken, eigentlich ideal, um bei einem ausgedehnten Spaziergang in der milden Sonne neue Kräfte zu sammeln. Aber sie nahm mit dem Küchenbalkon vorlieb. Stundenlang schwelgte sie mit den Fotos in luxuriösen Zukunftsperspektiven, wobei es keine Rolle spielte, dass sich diese Zukunft auf ein oder zwei Wochenenden monatlich beschränken sollte.
Das konfuse Für und Wider in ihrem Innern hatte sich inzwischen einigermaßen eingependelt. Sie bemühte sich, es rein von der Vernunft her zu betrachten. Das Geld hatte sie bitter nötig. Ihre Arbeitssuche wollte sie darüber jedoch nicht vernachlässigen und sich bei nächster Gelegenheit erkundigen, ob Nadia auch in dieser Richtung etwas tun konnte. Doch vorerst bot sich dazu keine Gelegenheit.
Nadia war vollauf beschäftigt mit den Vorbereitungen für den ersten Vertretungseinsatz und legte ein Tempo vor, in dem alles andere unterging. An dem Montag erschien sie kurz nach fünf, wieder mit Tuch und Sonnenbrille, mit weiteren Lebens- und etlichen Korrekturmitteln für die kleinen Abweichungen. Eine Nagelfeile, die diese Bezeichnung auch verdiente, ein Abdeckstift für das Muttermal, ein Epiliergerät für die Beine, ein Damenrasierer für die Achseln, eine Pinzette für die Augenbrauen und eine Enthaarungscreme, deren Hautverträglichkeit auch eine Anwendung im Intimbereich erlaubte.
Ehe Susanne noch wusste, was geschah, hatte Nadia ohne Scheu sämtliche Kleidungsstücke abgelegt und demonstrierte, worauf es ankam. «Ich hoffe», sagte sie dabei, «du hast keine Hemmungen, dich vor einem Fremden auszuziehen. Wenn es dir peinlich ist, denk einfach, Michael sieht nicht dich, er sieht mich. Wir schlafen in einem Zimmer – nackt. Wenn du Unterwäsche trägst, wird er denken, ich verstecke etwas.»
Nadia lächelte entschuldigend und bezeichnete Michael als typischen Vertreter seiner Gattung. Dass er betrog, war völlig in Ordnung, aber seine Frau durfte natürlich nicht. «So eine kleine Affäre ist eine feine Sache», sagte Nadia. «Es mal für ein ganzes Wochenende zu genießen, ohne sich fragen zu müssen, was erzähle ich meinem Mann, wird bestimmt nett. Aber dafür meine Ehe zu riskieren, so viel ist es mir nicht wert. Und wir beide, das ist eine phantastische Möglichkeit. Mit so etwas rechnet einfach kein Mensch.»
Dass Michael stutzig werden könnte, wollte Nadia nicht völlig ausschließen. Aber was wollte er machen? Bei einer derart verblüffenden äußeren Ähnlichkeit käme er kaum auf den Gedanken, zu fragen, wer Susanne sei. Er würde davon ausgehen, Nadia habe irgendeine Laune. Und Susanne konnte verhindern, dass er stutzig wurde. Sie musste sich nur so benehmen, wie Nadia es tat, dazu gehörte eben, nackt ins Bett zu gehen.
Obwohl sie noch keinen Ton gesagt, gewiss keine Befürchtungen oder Bedenken hatte laut werden lassen, versicherte Nadia noch einmal: «Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Normalerweise macht er einen weiten Bogen um mich, wenn wir Streit haben. Im Notfall nimmst du demonstrativ die Tampons aus dem Schrank.»
Dann zog Nadia sich wieder an und blätterte etliche Geldscheine auf den Tisch. «Das müsste reichen. Es hängt davon ab, wie viele Fahrstunden du brauchst. Kannst du dich morgendarum kümmern und auch einen Kosmetiktermin vereinbaren?»
Susanne nickte, konnte den Blick nicht von den Scheinen lösen. Es war fast, als hätte Nadia
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