Die Lüge
Dem Meister schmeichelte es, und es erklärte auch gleich ihr Werk mit der Schere.
Bei der Maniküre, die Nadia ebenfalls für unerlässlich gehalten hatte – zumindest einmal für den Anfang –, erfuhr sie, wann Nadia zuletzt im Salon gewesen war. Im Juli, nur einen Tag vor ihrem Zusammentreffen beim Aufzug im Gerler-Bürohaus. Den nächsten Termin eine Woche später hatte Nadia mit Hinweis auf den nun erwähnten Urlaub abgesagt.
Sie sah die Zeile im ersten Brief vor sich: «Vielleicht kann ich etwas tun, das zu ändern.» Und im Spiegel sah sie die Frau, die ihr aus dem Aufzug entgegengetreten war. Ein leicht gebräuntes Gesicht, der Hauch von Make-up hatte unter den Händen des Meisters nicht gelitten. Die medizinischen Ohrstecker schimmerten silbrig, die Frisur saß perfekt und hatteden richtigen Farbton. Urplötzlich machte sich ihr Herz unangenehm bemerkbar. Es tat einen Schlag, als fiele es in ein Loch. Und mit diesem hohlen Schlag wurde ihr klar, dass es funktionieren konnte. Die äußere Verwandlung jedenfalls war abgeschlossen.
Nadia wartete in einem weinroten Cabrio, ihrem eigenen Wagen, als ihr Double freitags kurz nach siebzehn Uhr das Parkhaus erreichte. Susanne stieg ein und bemerkte das Urlaubsfoto des blonden Mannes am Armaturenbrett. Und plötzlich verursachte ihr das Foto ein diffuses Unbehagen. Nadia musste ihren Mann sehr lieben, sonst hätte sie kaum sein Bildchen von einem Auto ins andere geklebt. Aber einen Mann sehr zu lieben ließ sich ihrer Meinung nach nicht mit dieser Art von Betrug vereinbaren. Auch nicht, wenn man selbst betrogen wurde.
Nadia ließ den Blick anerkennend über Frisur und Gesicht schweifen, prüfte die Form der Augenbrauen und der Fingernägel, ging so weit, Susannes Schienbeine zu inspizieren und sich zu vergewissern, dass dort wirklich nichts mehr wuchs. Dann nahm sie das Tuch und die große Sonnenbrille aus einem Ablagefach und verlangte: «Zieh das an.» Anschließend steuerte sie den Alfa Spider hinaus auf die Straße und wollte wissen: «Bist du inzwischen gefahren?»
«Einmal», log Susanne. «Es ging ganz gut. Ich war selbst überrascht. Aber der Fahrlehrer sagte, es ist wie Schwimmen oder Radfahren. Man verlernt es nie.»
«Fein», sagte Nadia. «Dann gibt es damit ja keine Probleme. Es wird auch sonst keine geben. Du siehst perfekt aus. Wie war es beim Friseur?» Sie ließ sich alle Einzelheiten berichten, steuerte auf die Autobahn und forderte: «Präg dir die Strecke ein.»
Viel einzuprägen gab es da nicht. Es ging an drei Ausfahrtenvorbei – und das ziemlich schnell, obwohl relativ dichter Verkehr herrschte. Wenn der Alfa Spider tatsächlich weniger PS unter der Haube hatte als der Porsche, machte sich das kaum bemerkbar. Auch in puncto Wendigkeit war er dem weißen Flitzer nicht spürbar unterlegen. Als sie in die vierte Ausfahrt bogen, drosselte Nadia endlich das Tempo. Es ging noch ein Stück über eine von jungen Bäumen gesäumte Landstraße. Nadia steuerte auf den Grünstreifen zwischen zwei dünnen Stämmchen und wies schräg nach vorne. Zu sehen war so gut wie nichts. Unzählige üppige Baumwipfel vermittelten lediglich die Ahnung von Hausdächern unter grünen Schatten.
«Es ist von hier aus leicht zu finden», sagte Nadia. «Du bleibst auf dieser Straße, hinter dem Ortseingang musst du zweimal links abbiegen, dann noch einmal rechts. Du kannst es nicht verfehlen. Es gibt nur fünf Häuser am Marienweg, zwei auf einer, drei auf der anderen Seite. Mein Haus ist das mittlere von den dreien.»
Darauf folgte eine längere Erklärung zur Alarmanlage ihres Hauses. Es klang höchst kompliziert, als benötige man eine Gebrauchsanweisung allein zum Öffnen der Tür. Dann wendete Nadia den Alfa Spider auf dieser schmalen Landstraße, was Susanne für unmöglich gehalten hatte, fuhr zurück, erklärte weiter, dass sie in der kommenden Woche leider keine Zeit für weitere Treffen habe, und nannte den ersten Termin. Nächsten Sonntag!
Von intensiven Trainingswochen war nicht mehr die Rede. Es sei eine günstige Gelegenheit, behauptete Nadia, kein komplettes Wochenende und nicht das Risiko einer überraschend angesetzten Party bei Jo und Lilo Kogler mit Wolfgang und Ilona Blasting. Nur ein paar Stunden. Am späten Nachmittag müsse Michael ins Labor.
«Da läuft eine neue Testreihe», ereiferte sich Nadia. «Das ist immer ein guter Vorwand, Labormäuse zu treffen.»
Aber unter diesen Voraussetzungen, meinte Nadia, sei es wirklich ein
Weitere Kostenlose Bücher