Die Lüge
gefragt hatte. Sie wollte die Fahrertür öffnen. «Nein.» Er winkte sie zu sich heran. «Auf dieser Seite.»
Mit etlichen Flüchen im Kopf rutschte sie hinüber und folgte ihm zu seinem Wagen. Ohne sie aus den Augen zu lassen, nahm er ein Handy aus einer Halterung, wählte und sagte: «Dettmer hier, macht ihr mal eine Halterabfrage für mich?» Dann gab er das Kennzeichen des Jaguars durch. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, bekam er Auskunft und lächelte sie an. «Wenn Sie mir wenigstens das Geburtsdatum Ihres Mannes sagen, bin ich zufrieden.»
Damit gab es keine Probleme, das hatte sie im Arbeitsvertrag gesehen. Dettmer gab ihr die Papiere zurück und ging wieder zum Jaguar. «Kann schon mal passieren, dass das Gedächtnis streikt, wenn man viel Stress hat. Hat er irgendwas gemacht, bevor er den Geist aufgab?»
«Nein.»
Er wollte den Jaguar starten. Der Anlasser drehte, ein paar Leuchtsymbole glühten auf, mehr geschah nicht. Dettmer schaute sie strafend an. «Der muss leer sein bis auf den letzten Tropfen. Beim nächsten Mal schauen Sie besser vorher auf die Tankanzeige. Das kann teuer werden auf der Autobahn.»
Am liebsten wäre sie im Asphalt versunken. Der hilfsbereite Polizist in Zivil kontrollierte den Kofferraum des Jaguar, einen Reservekanister fand er nicht und telefonierte noch einmal, diesmal bat er um einen Abschleppdienst. Dann verabschiedete er sich mit dem Hinweis, sie solle zu ihrer Sicherheit über die Leitplanke steigen und dort warten.
Kurz darauf kam der Abschleppwagen. Der Jaguar wurde an einen Haken genommen und hinaufgezogen. Sie durfte vorne einsteigen. Bis zur nächsten Zapfsäule waren es fünfzehn Kilometer. Sie bezahlte mit Nadias Geld den Fahrer und die Tankfüllung, brachte notdürftig das zerlaufene Make-up in Ordnung und fuhr zu ihrer Wohnung.
Überraschenderweise fand sie einen Parkplatz direkt vor dem Haus. Er war nicht sonderlich groß, aber mit Johannes Herzogs Anweisungen im Hinterkopf brachte sie den Jaguar darauf unter, stieg aus und ging rasch auf das alte, hässliche Mietshaus zu. Heller hing ausnahmsweise nicht im Fenster. Die Haustür war wie üblich nur angelehnt. Sie beeilte sich, die drei Treppen hinaufzukommen.
Es war sonderbar, an der eigenen Wohnungstür klopfen zu müssen. Nadia öffnete auf der Stelle, spähte ins Treppenhaus, ob sonst jemand zu sehen war, und hatte Mühe, ihre Anspannung zu verbergen. Erst nach ein paar Sekunden glitt ihr Blick über Susannes Gesicht und die Kleidung und weiteten sich: «Wie siehst du denn aus, um Gottes willen? Hattest du einen Unfall?»
Sie schüttelte den Kopf und murmelte etwas von einemscharfen Küchenmesser. Nadia atmete erleichtert aus. «Gott sei Dank. Ich dachte schon, es wäre etwas passiert.»
Dann ging sie ins Wohnzimmer und zündete sich eine Zigarette an, die letzte aus ihrem Päckchen. Auf dem Tisch stand ein von Asche und Kippen überquellender Unterteller, daneben der Laptop mit hochgeklapptem Bildschirm, auf dem sich Unmengen von Zahlen und Buchstaben tummelten. Es sah verwirrend aus. Um Zeit zu gewinnen, heuchelte Susanne Interesse. «Kann man mit so einem kleinen Ding eigentlich richtig arbeiten?»
«Klein?» Nadia gab einen halbwegs amüsiert klingenden Laut von sich. «Das ist ein P vier mit drei Gigahertz.»
«Ach so», murmelte sie und schaute zu, wie Nadias Finger in Windeseile über die Tastatur huschten und das Gewimmel vom Bildschirm verschwinden ließen.
Nach dem zweiten Zug an der Zigarette deutete Nadia auf ihre notdürftig verbundene Hand. «Was hast du mit einem Küchenmesser gemacht?»
«Michael war noch da, als ich kam.»
Nadia stutzte und lachte unsicher. «Aber du hast ihn hoffentlich nicht massakriert.»
Sie schüttelte nur den Kopf. Nadia drängte: «Und, wie war es? Du siehst aus, als wärst du dem Teufel begegnet. Hat es Ärger gegeben? Hat er etwas gemerkt, oder hat er es geschluckt?»
Viel Zeit zum Schlucken hatte er nicht gehabt, fand sie. Sie nickte trotzdem.
«Was nun?», wollte Nadia wissen. «Ärger mit Michael?»
«Nein», sagte sie. «Mit ihm bin ich gut zurechtgekommen. Ich glaube nicht, dass er was gemerkt hat.»
Nadia atmete tief durch und stellte fest: «Es funktioniert also. Du wirst sehen, es funktioniert auch für mehrere Tage.»
«Das glaube ich nicht», sagte sie und begann mit ihrem Bericht.Als sie ihr Verlangen nach einem Schlückchen Wodka zur Beruhigung erwähnte, wurde Nadias Gesicht grau. Ihre Stimme klang wie über ein
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