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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Unsere Stimmen sind ebenso identisch wie der Rest. Einen Unterschied gibt es nur in den eigenen Ohren, das ist bedingt durch den Körperschall.»
    Beim letzten Wort zog Nadia ein kleines Diktiergerät aus der Computertasche, schaltete es ein und verlangte: «Sag etwas.»
    «Was soll ich denn sagen?»
    Nadia zuckte mit den Achseln und griff nach ihrer Handtasche. «Hast du dir dein Geld genommen?»
    «Nein. Es waren ja nur ein paar Stunden.»
    Nadia zählte fünfhundert ab und legte sie auf den Tisch. «Die zählen aber dreifach mit dem Ärger.»
    Das Diktiergerät lief immer noch. Nadia schaltete es aus, spulte zurück und ließ sie hören, dass es tatsächlich keinen Unterschied gab. «Beruhigt dich das? Jetzt lass mich deine Finger sehen.»
    Sie streckte zögernd ihre Hand aus. Nadia entfernte den provisorischen Verband, betrachtete die Schnittwunden, meinte, genäht werden müssten sie nicht, und fragte: «Hast du ein scharfes Messer? Das wird Narben geben.»
    Ihre Antwort wartete Nadia nicht ab, ging in die Küche, holte ein kleines Messer aus dem Schubfach und kam damit zurück. Sie schaute noch einmal genau auf die Verletzungen, dann setzte sie das Messer an und zog es mit leisen Zischlauten zweimal rasch über ihre eigenen Finger.
    Susanne wurde übel, als sie das Blut über Nadias Hand rinnen sah. Es tropfte auf den Fußboden und versickerte im alten Teppich. «Bist du wahnsinnig?», stammelte sie.
    «Nur gründlich», sagte Nadia. Als sie weitersprach, tat sie das in einem eindringlichen Ton. «Wir sind so weit gekommen, Susanne, du wirst jetzt nicht kneifen. In vierzehn Tagen will ich ein Wochenende mit meinem Freund verbringen. Das ist schon abgemacht. Ich weiß, dass es nicht einfach ist. Die Alarmanlage ist vielleicht problematisch. Aber du sollst nicht mit der gut zurechtkommen, sondern mit Michael. Das hat funktioniert. Und beim nächsten Mal wird es auch sonst keine Schwierigkeiten geben, das schwöre ich dir. Ich werde die Codes entsprechend ändern.»
    Sie konnte den Blick nicht von Nadias blutenden Fingern lösen. Und jeder Tropfen, der im Teppich versickerte, war ein weiterer Grund, den Kopf zu schütteln. Das Geld hätte sie wirklich gut gebrauchen können. Aber die Vorstellung, dass Nadia sich irgendwann verletzte und sie ein Messer nehmen müsste, um die Ähnlichkeit wiederherzustellen – mit nachdrücklichem Kopfschütteln zog sie die Ringe ab und die Ohrstecker aus den inzwischen penetrant brennenden Ohrläppchen. Sie legte die Schmuckstücke neben das Geld auf den Tisch und löste die Armbanduhr. «Nein», sagte sie noch einmal.
    Nadia erkannte wohl, dass es ihr bitterernst war. Mit frustrierter Miene wickelte sie ein Taschentuch um ihre blutenden Finger, sammelte ihren Schmuck ein, steckte Laptop und Diktiergerät in die Computertasche, klemmte sich die Dokumentenmappe unter den Arm und ging zur Tür. Dort blieb sie noch einmal stehen.
    «Ich zahle dir tausend für jedes Wochenende. Du musst dich nicht mehr am Geld deiner Mutter vergreifen, kannst sogar alles zurückzahlen, was du ihr gestohlen hast.»
    Das war moralische Erpressung. Als sie nicht reagierte, verlangte Nadia: «Denk darüber nach, Susanne. Tausend pro Einsatz sind zweitausend im Monat. Wann hast du zuletzt so viel verdient? Wir sehen uns am Donnerstag. Du kommst wieder ins Parkhaus.» Nach diesem Befehl zog Nadia die Tür hinter sich zu.
    Susanne betrachtete die Blutflecken im alten Teppich, sah sich im Geist durch die weiße Pracht schlendern, hörte aus der Küche das asthmatische Blubbern ihres Kühlschranks aus zweiter Hand, sah die abgewetzte Couch, die ganze Schäbigkeit und die Geldscheine auf dem Tisch. Tausend – nach so einer Pleite! Eine plötzlich erkrankte Mutter zu erfinden wäre entschieden preiswerter gewesen. Aber vielleicht lebte Nadias Mutter nicht mehr, oder Michael hatte ein gutes Verhältnis zur Schwiegermutter. Wie auch immer, die Sache musste Nadia verdammt wichtig sein.
    In Gedanken versunken ging sie ins Schlafzimmer, zog die blutverschmierte Kleidung aus und etwas von ihren alten Sachen an. Dann schrubbte sie eine Weile an den teuren Stücken herum. Das Blut aus den Kleidern ließ sich auswaschen. Beim Teppich versuchte sie es erst gar nicht, in dem bunten Muster und dem Dreck vieler Jahre fiel es nicht weiter auf.
    Etwa eine Viertelstunde später klopfte es an die Wohnungstür. Sie dachte, Nadia käme zurück, um noch einmal auf sieeinzureden. Aber im Treppenhaus standen nur Jasmin Toppler und

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