Die Lüge
Reibeisen gezogen: «Du hast was?»
Sie beeilte sich, zu versichern, dass sie sich keinen Tropfen Alkohol genehmigt habe. Und ihrer Überzeugung nach hatte sie es auch geschafft, Michael zu besänftigen. Wortwörtlich wiederholte sie, was sie gesagt und er geantwortet hatte, und schloss mit: «Es tut mir Leid, aber ich wusste ja nicht …»
Unwillig winkte Nadia ab. «Schon gut. Mein Fehler. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du etwas trinken könntest, wenn du noch fahren musst. Sonst hätte ich dir das erklärt. Aber das biege ich schon wieder hin.» Völlig überzeugt von ihren Worten schien Nadia nicht. Mit heftigen Stößen machte sie der Zigarette auf dem Unterteller den Garaus und rang sich eine Erklärung ab. «Ich hatte eine furchtbare Zeit, als ich merkte, dass er mich betrog. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das wieder im Griff hatte. Seitdem dreht er durch, wenn es auch nur so aussieht, als ob ich …» Nadia hob die Achseln und fügte hinzu: «Aber wenn du nichts angerührt hast, kann ich ihn bestimmt beschwichtigen.»
Sie schwor, keinen Schluck zu sich genommen zu haben. Nadia entspannte sich ein wenig. «Und sonst? War sonst noch was?»
Sie nickte, und dann ging es sehr flüssig, den Rest erzählte sie von hinten. Begonnen mit einem freundlichen Helfer auf der Autobahn, seinen Beruf verschwieg sie lieber, über den leeren Tank des Jaguars bis zum demolierten Kasten am Garagentor. Das nicht funktionierende Telefon flocht sie dazwischen ein.
Nadia zog mehrfach die Luft ein, als müsse sie ihre Wut kühlen, verkniff sich jedoch jede Bemerkung und rang sich am Ende ein «Nicht so tragisch» ab. «Das Tor kann Jo bestimmtrichten.» Ihren Worten zufolge hatte sie die Sache vereinfachen wollen und die Alarmanlage umprogrammiert, um zu verhindern, dass sie selbst nicht mehr ins Haus konnte, falls Susanne einen Fehler gemacht hätte. Die tote Telefonleitung im Arbeitszimmer erklärte Nadia damit, dass es sich bei diesem Apparat um den Geschäftsanschluss handle, der übers Wochenende immer abgeschaltet sei. Der Privatanschluss befände sich im Schlafzimmer.
Da hatte Susanne kein Telefon gesehen. Es wäre aber eins da, neben dem Bett, behauptete Nadia. Sie hätte nur genau hinschauen müssen. Im Arbeitszimmer hätte sie eigentlich nichts zu suchen gehabt. Völlig verbergen konnte Nadia ihren Zorn nicht. Doch abgesehen von dieser Maßregelung richtete sich der Ausbruch hauptsächlich gegen Michael.
«Er fährt den Wagen, als brauchte der nur Luft. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft wir schon Streit deswegen hatten. Vor gut vier Wochen erst, ich hatte einen wichtigen Termin und wollte gerade aus dem Haus, da rief er an, war auf halber Strecke liegen geblieben und erwartete natürlich, dass ich ihn ins Labor fuhr.»
Nadia ereiferte und beruhigte sich wieder, nahm eine Teilschuld auf sich, weil sie vor vier Wochen zu Michael gesagt hatte, er solle gefälligst einen Blick auf die Tankanzeige werfen, ehe er das nächste Mal losführe. Und wenn er wieder einmal zu tanken vergessen habe, solle er sich etwas anderes einfallen lassen, als den Jaguar zu starten. Damit hatte Nadia allerdings ein Taxi gemeint und nicht ihren Alfa. Die Erklärungen gipfelten in der Feststellung: «Also, ich finde, es ist nicht schlecht gelaufen. Nicht wie geplant, aber was da schief gegangen ist, war nicht deine Schuld. Und beim nächsten Mal, das garantiere ich dir, wird Michael den Alfa nicht anrühren, und das Tor wird funktionieren.»
Sie konnte nicht glauben, was sie hörte. Einen Tobsuchtsanfallund heftige Vorwürfe zu ihrer Dämlichkeit hätte sie verstanden. Aber dass jemand einen derartigen Schaden mit einem Achselzucken hinnahm – nur für ein sorgloses Wochenende mit einem Liebhaber? Das war unvorstellbar. Und die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass andere entschieden weniger Hemmungen hatten als sie. Eine Million im Todesfall.
«Nein», sagte sie. «Es wird kein nächstes Mal geben. Ich habe die Versicherungspolice gefunden. Und meine Stimme klingt ganz anders als deine. Aber Tote reden ja nicht mehr. Such dir für das Spiel eine andere.»
Nadia starrte sie verständnislos an. Nach ein paar Sekunden begann sie glucksend zu lachen. «Bildest du dir ein, ich wollte dich umbringen, nur um eine Million zu kassieren?» Das klang, als sei eine Million bloß ein besseres Trinkgeld.
Nadia schüttelte immer noch lachend den Kopf. «Ich brauche dich nur aus einem Grund, Susanne, den habe ich dir genannt.
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