Die Lüge
angekündigt. «Er muss allerdings vorher noch auf Geschäftsreise», sagte Nadia. «Ich könnte ihn begleiten, wenn du es einrichten kannst.»
Natürlich konnte Susanne es einrichten. «Phantastisch», freute sich Nadia. «Wir fahren morgen und kommen am Freitag zurück. Du kannst schon am Freitag wieder nach Hause fahren, wenn dir das lieber ist. Ich rufe dich an, dann holst du mich ab. Ich sorge auch dafür, dass du zwei ruhige Tage bekommst.»
«Du brauchst keinen Streit anzufangen», sagte Susanne. «Ich nehme die Tampons aus dem Schrank. Es ist ja nur eine Nacht.»
«Wie du willst», meinte Nadia. «Wenn er etwas sagt oder tut, womit du nicht zurechtkommst, schaltest du auf stur oder erinnerst ihn daran, wer sein Studium bezahlt hat. Dann hält er den Mund.»
Das fand Susanne gemein, aber sprach das natürlich nicht aus. Nadia redete auch ohne Atempause weiter, nannte als Treffpunkt den großen Parkplatz am Flughafen und sagte noch: «Du musst die Augenbrauen nachzupfen. Den Rest auch. Ich verlasse mich darauf. Zieh das graue Kostüm an und sei pünktlich.»
«Ja», sagte sie nur. Die nächste Stunde verbrachte sie mit den Folterinstrumenten. Sie rupfte, zupfte, rasierte, schnitt und cremte, bis nichts mehr wuchs, was einem Vergleich nicht standhielt. Ihr Magen war wie zugeschnürt. Auf das Abendessen verzichtete sie. In der Nacht schlief sie nicht gut, war im Geist bereits eine Nacht weiter und wusste, dass sie neben Michael Trenkler kein Auge zubekäme aus Furcht, eine Bewegung, ein falscher Atemzug oder sonst etwas könne sie verraten.
Dieter hatte vor Jahren behauptet, sie rede im Schlaf. Angeblich war sie gut zu verstehen gewesen. Beim Frühstück hatte er ihre Verhandlungen mit einem Versicherungsvertreter wiedergegeben. Sie habe nach einer Lebensversicherung für einen Journalisten in Krisengebieten verlangt, hatteDieter gesagt. Ob das stimmte, wusste sie nicht. Aber es lag eigentlich nahe, dass sie damals gedacht hatte, Dieter könne leicht mit dem Jeep auf eine Mine oder in einen Hinterhalt geraten. Und es war eine beunruhigende Vorstellung, in der kommenden Nacht vielleicht gut verständlich über Dinge zu sprechen, die sie beschäftigten:
«Führe mich in dein Leben ein, Nadia. Und wenn ich mich darin auskenne, wenn ich es im Schlaf beherrsche, darfst du dich verabschieden und deinen Liebhaber glücklich machen bis an das Ende seiner Tage. Wir können tauschen. Als Susanne Lasko bist du keinem Menschen Rechenschaft und Treue schuldig. Und ich bin ohnehin auf der Suche nach einer Dauerstellung.»
Am Morgen des zwölften Septembers erwachte sie noch vor dem Frühzug aus einem Albtraum, in dem Heller eine wichtige Rolle gespielt hatte. Sie war von einem Vertretungseinsatz zurück in ihre Wohnung gekommen. Nadia lag mit zerschnittenen Fingern und eingeschlagenem Schädel blutüberströmt auf dem Bett. Heller wusch sich in der Küche die Hände und das Messer ab, grinste und riet: «Verzieh dich. So ’ne Chance kriegt man nur einmal im Leben. Kein Mensch kommt auf die Idee, dass auf deiner Matratze nicht du liegst.»
Seine Stimme verfolgte sie bis unter die Dusche und machte den Kaffee bitter. Sie verzichtete auf den Toast zum Frühstück, zog sich sorgfältig nach Nadias Vorgaben an, gab sich die größte Mühe bei Make-up und Frisur. Schon kurz nach sieben verließ sie die Wohnung und ging zügig Richtung Bahnhof.
Sie nahm den Bus zum Flughafen, war viel zu früh und hatte Zeit genug, den großen Parkplatz zu erkunden. Nadia war noch nicht da. Nachdem sie eine Viertelstunde bei der Zufahrt gewartet hatte, begannen der Kaffee und die Nervosität auf die Blase zu drücken. Notgedrungen machte sie sich auf denWeg zum Terminal und bemerkte zu ihrer Verwunderung den roten Alfa in der Kurzparkzone. Nadia war nicht zu sehen.
Sie beeilte sich bei ihrer Suche nach den Toiletten. Zurück ins Freie kam sie durch einen anderen Ausgang. Und dort fiel ihr eine große, schwarze Limousine mit getönten Scheiben auf, neben der ein gedrungener Mann stand, der aufmerksam die Umgebung im Auge behielt. Während sie sich diesem Wagen näherte, öffnete der Gedrungene eine Tür am Fond. Sie ging rasch in Deckung. Nadia entstieg der Limousine, in der Hand einen schwarzen Aktenkoffer. Auf der anderen Seite tauchte ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit dunklen Haaren auf. Er mochte Anfang vierzig sein und sprach noch kurz mit Nadia.
Was immer Susanne an Unbehagen hinsichtlich der Lebensversicherung bis dahin noch
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