Die Lüge
für Notfälle zu haben.
Wenn sie erst mal im Haus war und sichergestellt hatte,dass sie jederzeit rauskonnte, wollte sie, bis Michael heimkäme, nur tun, wozu sie Lust hätte. Ein Bad in der runden Wanne nehmen; vielleicht einmal behutsam testen, ob es im Swimmingpool eine Stelle gab, an der sie noch stehen konnte; Computerhandbücher verschlingen, bis ihr der Schädel brummte; und – aber nur ganz vorsichtig – ein bisschen mit der Textverarbeitung üben.
Fünfzehn Minuten nach zehn bog sie in den Marienweg ein. Bei Koglers putzte gerade eine ältere Frau zur Haustür heraus. In Blastings Einfahrt parkte ein Ford Fiesta, der nicht so aussah, als gehöre er zum Haushalt. Die Grundstücke von Niedenhoff und Elenor Ravatzky wirkten wie ausgestorben. Sie brachte den Alfa vor dem Garagentor zum Stehen, griff nach der Fernbedienung, tippte den Code ein. Und wie von Zauberhand bewegt schwang das breite Tor in die Höhe.
Augenblicklich flammten in der Garage die Neonröhren auf. Sie fuhr den Alfa auf die linke Seite. Kaum hatte sie den Motor abgestellt, schwang das Tor wieder nach unten. Riegel schnappten ein, in der Stille klang es wie zwei dicht aufeinander folgende Schüsse. Sie zuckte zusammen, obwohl sie nun genau wusste, dass dafür nur irgendwelche Sensoren verantwortlich waren, die auf das Motorgeräusch beziehungsweise die Stille nach dem Abschalten reagierten. Vorsichtshalber benutzte sie die Fernbedienung noch einmal. Das Tor öffnete sich und blieb oben. Sie startete den Wagen, schaltete den Motor wieder aus. Und kaum war es still in der Garage, schwang das Tor nach unten.
Wunderbar, es funktionierte. Es machte sogar Spaß, nichts weiter tun zu müssen, als auf Knöpfchen zu drücken und einen Zündschlüssel zu drehen. Sie gönnte sich das Vergnügen noch viermal, dann fiel ihr ein, dass die Nachbarschaft auf den Lärm aufmerksam werden und sich wundern könnte. Nadia spielte garantiert nicht stundenlang mit ihrem Garagentor.
Bis zur Alarmanlage im Garderobenraum brauchte sie von der Garage aus nur fünf Sekunden. Drei Sekunden später war auch das erledigt. Die Haustür ließ sich widerstandslos öffnen und schließen. Sie schaltete die Anlage wieder ein und probierte den Schlüssel in der Haustür. Auch das klappte, wie Nadia es versprochen hatte. Sie lehnte sich kurz mit dem Rücken gegen die Tür, schaltete die Anlage zum zweiten Mal aus und ließ den angehaltenen Atem entweichen.
Alles in Ordnung. Die Nervosität schwand. Der Albtraum von Heller war längst verblasst, ihr Magen vibrierte nicht mehr, erinnerte sie nur noch mit einem flauen Gefühl an das ausgefallene Abendessen und das verweigerte Frühstück. Letzteres wollte sie nachholen und dabei ein wenig lesen.
Der Kühlschrank war gut gefüllt. Eine halbe Stunde später saß sie vor teurem Porzellan im Esszimmer, von dem aus auch eine Tür auf die Terrasse führte, die sie wegen der milden Witterung öffnete. Das Handy lag griffbereit neben ihrem Teller. Sie aß mit gutem Appetit zwei Toasts mit Schinken und einen mit Käse, las dabei eine Lektion über das Erstellen, Bearbeiten und Abspeichern eines Dokumentes und fragte sich flüchtig, wo Nadia wohl gerade sein mochte. In der Aufregung hatte sie vergessen zu fragen, wohin die Reise ging. Aber das interessierte sie auch nicht sonderlich.
Kurz nach elf waren Esszimmer und Küche wieder aufgeräumt, einen Aschenbecher mit fünf Kippen hatte sie auch geleert. Mit Buch und Handy stieg sie nach oben, betrachtete mit einem nervösen Kribbeln in der Herzgrube den riesigen Kasten unter dem Schreibtisch. Das grüne Lämpchen glühte, offenbar war der Rechner ständig in Betrieb, wenn auch nicht so, dass man damit arbeiten konnte.
Neben dem grünen Lämpchen befanden sich zwei Vertiefungen, weitere Lämpchen, vermutete sie, darunter eine runde Erhebung, wahrscheinlich der Einschaltknopf. Nur einVersuch! Nur sehen, ob sie die betreffenden Abschnitte im Buch richtig verstanden hatte. Noch zwei Sekunden Unentschlossenheit. Sonderlich wohl fühlte sie sich nicht in ihrer Haut. Nadia hatte deutlich zu verstehen gegeben, das Arbeitszimmer sei tabu.
Aber Nadia musste nichts davon erfahren, und es wäre so wichtig für ihre Zukunft. Ohne ED V-Kenntnisse war man als Schreibkraft aufgeschmissen. Nadias Affäre würde nicht bis in alle Ewigkeit dauern. Ein verheirateter Mann! Wenn Nadia ihrem Freund den Laufpass gab oder er ihr, wurde jede Vertretung überflüssig. Es gäbe dann höchstens noch die
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